Frodo und Disney- nie im Leben! meinte J.R.R. Tolkien und verkaufte kurz vor seinem Tod die Filmrechte an "Der Herr der Ringe" anderweitig. Am 6. Oktober 1999 begannen die Dreharbeiten - und Mittelerde war in Mode.
Auenland, Mordor oder Gondor. Wie heißt das Land zwischen den Flüssen Anduin und Celebrant? Wie viele Orks tötete Gimli bei der Schlacht um Helms Klamm? Welchen Beinamen trägt Aragons Schwert Anduril, und wie viele Ringe kamen eigentlich in die Hände der Menschen? Fragen, die wahre Kenner von Mittelerde sicher wie aus Legolas Bogen geschossen beantworten können; wobei die Zahl der Insider seit Peter Jacksons Verfilmung der Herr-der-Ringe-Trilogie gewaltig gestiegen sein dürfte. Mit Beginn der Dreharbeiten am 6. Oktober 1999 erfasste der Kult um das mythische Universum des Engländers J. R. R. Tolkien auch massenhaft Leute, die den eigentlich sechs Bücher umfassenden Text gar nicht kannten.
Gotisch, Finnisch, Walisisch
Eine Entwicklung, die der Autor nicht vorausgesehen hatte. Vielmehr glaubte der Oxforder Anglistik-Professor, dass sich sein berühmter Fantasy-Roman wegen der vielen Handlungsstränge schlecht auf die Leinwand übertragen ließe. Schon 1969, wenige Jahre vor seinem Tod verkaufte er trotzdem die Filmrechte; für alle Fälle, wie er erklärte, um eine Vermarktung durch die verhasste Disney Company ein für alle Mal zu verhindern. Er erhielt dafür damals eine Viertelmillion Pfund. Einen Apfel und ein Ei, verglichen mit den Milliarden Dollar, die die drei vom Branchenriesen Warner Bros. produzierten Teile in den Kinos später einspielen sollten. Das gigantische Epos war bei Cineasten allein schon wegen seiner damals neuartigen digitalen Effekte ein Muss.
Aber die Masse begeisterte sich wohl eher für die fantastischen Abenteuer des Hobbits Frodo Beutlin, gespielt vom Mädchenschwarm Elijah Wood. Tolkien, der als Begründer der modernen Fantasy-Literatur gelten kann, ließ allerdings seinerzeit nicht einfach seiner Phantasie freien Lauf: Zwar klingt die Geschichte simpel: Neun Gefährten machen sich auf, um den einenRing des bösen Herrschers Sauron zu zerstören. Doch die ab 1954 erschienenen Bücher sind ein hoch aufwendiges Nebenprodukt gründlicher philologischer Studien.
Der in Fachkreisen geachtete Mediävist sprach Gotisch, Finnisch, Walisisch, Latein und Altgriechisch. Er kannte alle überlieferten nordischen Sagenstoffe, von der Edda bis zum Beowulf. Anders als viele seiner Kollegen war der spleenige Gelehrte immer bemüht, der trockenen Materie Leben einzuhauchen. So scharte er gesellige Runden um sich, die altenglische Trinklieder sangen oder isländische Sagas in der Originalsprache deklamierten.
Katholisch aber nicht moralisch
Tolkiens Mittelerde-Sagen aber erzählen eine ganz eigene Mythologie, an der ihr Schöpfer über Jahrzehnte getüftelt hat. Die Sprachen Quenya und Sindarin, die geographischen Besonderheiten von Auenland, Mordor oder Gondor, die Zeitrechnung, Geschichtsschreibung, die Stammbäume und vor allem die Sitten und Gebräuche der Elben und Orks, der Menschen, Maiar und Hobbits. Mit der Erschaffung dieses kunstvoll ausstaffierten Kosmos verfolgte der bekennende Katholik und fürsorgliche Familienvater keinerlei Moral, wie er sagte. Auch wenn die Guten das Böse schließlich vernichten: Tolkien wollte Geschichten erzählen, die so wahr wie erfunden sein konnten.
Mittelerde stünde seinen Besuchern zur freien Verfügung, schrieb er einmal.
Eine komplette Parallelwelt - just for fun? Auf jeden Fall der rechte Ort für ein paar entrückte Stunden im Kino.