Schillers Wilhelm Tell galt eigentlich als Hitlers Leib- und Magendrama - bis diesem dämmerte, dass es gewisse Parallelen geben könnte, zwischen einem gewissen Tyrannen und seiner Person. Am 3. Juni 1941 wurde Wilhelm Tell verboten.
"Der Führer wünscht, dass Schillers Schauspiel Wilhelm Tell nicht mehr aufgeführt wird und in der Schule nicht mehr behandelt wird." So schrieb Adolf Hitler am 3. Juni 1941. Und damit war´s entschieden. Anweisung des Führerhauptquartiers. Streng vertraulich. Eilfertig beauftragte Reichspropagandaminister Goebbels den Reichsdramaturgen unverzüglich herauszufinden, an welchen Theatern im Reich denn das Schweizer Unabhängigkeitsdrama gespielt werde. Wilhelm Tell, das lange Zeit erfolgreichste Schauspiel von Friedrich Schiller, im Deutschen Reich verboten.
Eigentlich Hitlers Lieblingsdrama
Das hatte ein paar Jahre vorher ganz anders ausgesehen. Da galt Wilhelm Tell noch als Hitlers Leib- und Magen-Stück. War es doch ein National- und Führerdrama! Jeder, der was auf sich hielt, zitierte fleißig: "Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern", und am Landestheater Braunschweig wurde 1933 zu Hitlers Geburtstag ein Abend gestaltet mit folgendem Programm:
erst das Horst-Wessel-Lied, dann Wilhelm Tells Rütli-Szene und obendrauf noch das Deutschland Lied. Anderer Ort, ähnliches Geschenk, fünf Jahre später: Diesmal gab das Wiener Burgtheater den Tell in einer Festvorstellung zu Führers Geburtstag zum Besten. Mit Schillers Wilhelm Tell konnte man eigentlich nichts falsch machen - hatte doch Hitler selbst vor das achte Kapitel von Mein Kampf das Motto gesetzt "Der Starke ist am mächtigsten allein" - ein Zitat aus dem Tell.
Doch nach zig Wilhelm-Tell-Abenden muss ihm im Lauf der Jahre aufgefallen sein, dass das Drama um den Schweizer Unabhängigkeitskämpfer doch einen ideologischen Haken hat: Immerhin begeht der strahlende Held Wilhelm einen Tyrannenmord! Und Hitler fühlte sich mittlerweile in seiner persönlichen Sicherheit bedroht durch Attentäter. Darüber hinaus war dieser Tell Schuld daran, dass die Schweizer seit Jahrhunderten nicht mehr Teil dessen waren, was Hitler sich unter einem Deutschen Reich vorstellte. Der "Abfall eines deutschen Stammes vom Reich" dürfe nicht mit Freude bedacht werden lamentierte er fortan und nannte Tell einen "Schweizer Heckenschützen". Nach Hitlers Verbotsbrief ging der Reichsdramaturg also ans Werk und gab die Order von Oben an die Theaterintendanten weiter. Streng vertraulich, versteht sich.
Kein einziger Tell kam in der Spielzeit 1941/42 durch hohle Gassen und erschoss Tyrannen.
Kein Tell mehr an Schulen und Theatern
Größere Probleme machten die Schulen. Denn so ziemlich jedes Lesebuch zitierte zu dieser Zeit in der einen oder anderen Art Schillers Wilhelm Tell - Hitler wollte diese Bücher nicht mehr auf den Schülerpulten sehen. Sie sollten heimlich eingesammelt und allesamt neu gedruckt werden. Zwischen staatlichen Stellen und den Parteifunktionären entbrannte ein heftiger Streit darüber, ob und wie das durchzuführen sei: in Kriegszeiten, möglichst diskret, ohne große Nachfragen zu provozieren. Schließlich entschied - wieder einmal - Hitler selbst: Bei Neuauflagen und Neuerscheinungen fehlten Tell und seine Gefährten.
Und in den alten Schulbüchern wurde der gerade noch so verehrte Schweizer einfach überblättert. Seitdem gab es keinen Tell mehr an deutschen Schulen und Theatern.