Dabeisein ist alles. Manchmal aber macht Wegbleiben mehr Sinn. Meinen manche. Und das schon seit Langem, denn seit den ersten Olympischen Spielen in der Antike gehört eines unbedingt zu den sportlichen Wettkämpfen: politischer Boykott.
Ernsthafter Sport habe rein gar nichts mit Fair Play zu tun, sondern mit Hass, Eifersucht, Angeberei und einem sadistischen Vergnügen am Betrachten von Gewalt: in anderen Worten, so ätzte der Schriftsteller George Orwell: Sport sei wie Krieg minus Schießen. Orwells Argumentation ist überzeugend. Denn es geht beim Sport um Wettbewerb und Konkurrenz. Höher, schneller, weiter, das ist die Devise. Ein zweckfreies "Miteinander spielen" findet vielleicht dort statt, wo ein paar Schulbuben eine Blechdose im Hinterhof hin und her kicken, aber nicht, wo nationales Prestige involviert ist.
Treppchenstufen erklimmen
Sieht man sich die Geschichte der olympischen Spiele an, kann man Orwell nur recht geben. Seit ihrer Begründung in der Antike war Olympia nicht nur Schauplatz von friedlichem Kräftemessen, sondern auch von Intrigen, Attacken und Boykotten. Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln eben. Das sportliche Großereignis wurde genutzt, um Macht und Reichtum zu demonstrieren, um Allianzen zu schmieden oder anderen Stadtstaaten eins überzuziehen. So wurden 420 vor Christus die Spartaner von den Spielen ausgeschlossen, weil sie sich nicht an die Waffenruhe gehalten hatten. Dies führte zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen den mächtigen und arroganten Spartanern und den Gastgebern der Spiele, den Eleern, die nebenbei gesagt auch keine Engel waren. Von nun an mussten die Athleten mit enormem Truppenaufgebot vor möglichen Racheanschlägen geschützt werden. 380 boykottierte Athen die Spiele. Und 364 gab es einen blutigen Anschlag von erbosten Eleern auf den Gastgeber Pisa, sinnreicherweise während eines Ringkampfs.
Dabeisein oder nicht - das ist die Frage
Zweieinhalb Jahrtausende später hat sich nichts geändert. Erinnern wir uns: 1980 war Moskau der Gastgeber der olympischen Spiele. Erstmals fanden sie in einem sozialistischen Land statt. "Ein überzeugender Beweis, dass unser Kampf für den Frieden internationale Anerkennung findet!" jubelten die Parteiaktivisten in Moskau. Aber mit der internationalen Anerkennung war das so eine Sache. Einige Regierungen stellten sich unter "Kampf für den Frieden" etwas anderes vor, als mit achtizgtausend Soldaten in ein Nachbarland einzumarschieren. Denn im Dezember 1979 hatten sowjetische Truppen Afghanistan besetzt. Die USA verkündeten, den Spielen fernzubleiben. Über sechzig westliche Staaten schlossen sich an. Und auch das westdeutsche Nationale Olympische Komitee beschloss am 15. Mai 1980, die olympischen Sommerspiele zu boykottieren. Ironischerweise war das erfolgreichste Team bei den Spielen deutsch - nach den Russen, natürlich: die Sportler aus der DDR räumten 117 Medaillen ab.
Die Sowjetunio bekam ihre Revanche vier Jahre später. 1984 war Los Angeles Austragungsort, und die Sowjetunio plus Unterstützer boykottierten nun die amerikanischen Spiele.
Orwell hätte das nicht überrascht, der Schriftsteller grantelte schon früher,
es erstaune ihn immer, wenn gesagt werde: Sport bringt die Völker näher zusammen, und wenn alle sich auf dem Sportplatz treffen, brauchen sie es nicht auf dem Schlachtfeld zu tun. Dabei führe das Ganze, so Orwell, zu nichts als Orgien des Hasses. Bleibt der zweifelhafte Trost, dass wir uns von dem griechischen Original gar nicht so weit entfernt haben.