Er trug keine Handschuhe und auch das Schuhwerk war nicht wirklich hochgebirgstauglich. Trotzdem hatte sich Alexander von Humboldt in den Kopf gesetzt am 23. Juni 1802 den Chimborazo zu besteigen.
Warum besteigt man einen Berg? Einfach "weil er da ist", wie der britische Bergsteiger George Mallory einmal behauptete? Oder weil der Berg ruft?
"Auffi muass i"
Als Alexander von Humboldt sich am 23. Juni 1802 an die Besteigung des Chimborazo macht, gilt dieser als der höchste Berg der Welt. Treibt den
32 jährigen "königlich preußischen Bergrath" also ein Höhenrekord an?
Ohne Handschuhe und mit nassen Schuhen
An seinen Bruder Wilhelm von Humboldt schreibt Alexander, dass er den Landstrich in Ecuador vermessen wolle. Doch im Grunde ist er dabei, eine Theorie seines verehrten Freiberger Lehrers Abraham Gottlob Werner aus den Angeln zu heben, den Neptunismus. Der Mineraloge Werner glaubt, das Wasser der Sintflut habe die verschiedenen Minerale und Gesteine gebildet und so die Erdoberfläche geformt.
Humboldt, der bereits den Teide auf Teneriffa sowie Puracé, Antisana, Pichincha und Cotopaxi in den Kordilleren bestiegen hat, allesamt Vulkane, verfolgt eine andere Spur: Er ahnt, dass eine gewaltige Feuerkraft im Erdinneren die Erde und ihre Gebirge gestaltet. Die Gesteinsbrocken, die er oberhalb der Vegetationszone des Chimborazo aufliest, stützen diese These: Sie zeigen Formen, die an Koks gemahnen oder Brandspuren.
Sein Forschergeist lässt Humboldt die sinkenden Temperaturen in über 5000 m Höhe zunächst kaum spüren. Seine indianischen Träger verweigern an der Schneegrenze den Dienst, in der Gewissheit, dass die Weißen an Atemnot sterben werden. Humboldt und seine Begleiter sind dürftig ausgerüstet: Ihre Lederstiefel haben sich mit Schneewasser vollgesogen. Mangels Handschuhen reißen sie sich am Fels die Hände blutig. Trotzdem steigen sie weiter auf, auch wenn der Grat, der sie zum Gipfel des weißen Kolosses führen soll, oft nur zwei handbreit ist: linkerhand senkt sich eine "dünneisige Spiegelfläche", die keinerlei Halt bietet, rechts droht der Abgrund.
Dessen unverdrossen misst Humboldt stetig Temperatur, Höhe, Luftdruck. Und so kann er exakt festhalten, was bei 2.800 Toisen, bei 5.432 Metern, eintritt:
"Wir fingen nun nach und nach an, alle an grosser Ueblichkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden und weit lästiger als die Schwierigkeit zu athmen. Wir bluteten aus dem Zahnfleisch und aus den Lippen." Die "Bergkrankheit" nennt Humboldt die Symptome.
Portrait mit Berg im Hintergrund
Trotz schwindender Sinne, blutender Nasen und Augen tastet sich die Gruppe durch immer dichteren Nebel Richtung Gipfel. Es fehlt nur noch "die dreimalige Höhe der Peterskirche zu Rom", da zwingt sie eine unüberbrückbare Spalte zur Umkehr. Diese Spalte ist ihr Glück, denn beim Abstieg beginnt es so heftig zu schneien, dass sich die höhenkranken Forscher verirren. "Wir waren wie in einem Luftball isoliert!" Mit knapper Not finden sie ihre einheimischen Begleiter wieder.