Nun stellte sich nur noch die Frage, was aus Athos geworden war. D'Artagnan wollte so bald wie möglich weiter nach Amiens reiten. Aramis wollte ihn begleiten und so ging es, sehr zum Verdruss von Bazin in der Morgendämmerung los. Der Musketier suchte sich ein Pferd von denen des Herzogs aus und ließ sich in den Sattel helfen. Die Schmerzen waren aber immer noch zu groß und so beschloss d'Artagnan alleine zu Athos zu reiten. Aramis sollte sich erst völlig auskurieren.
Gegen elf Uhr vormittags kam Amiens in Sicht. D'Artagnan hatte dem üblen Wirt Rache geschworen und so stellte er ihn mit gezogener Waffe zur Rede. Dieser erinnerte sich augenblicklich an den Vorfall vor vierzehn Tagen, bei dem er Athos der Falschmünzerei bezichtigt hatte und begann zu erzählen.
Die Obrigkeit hatte ihn gewarnt, dass ein Falschmünzer in Musketierbegleitung bei ihm auftauchen würde. Die Behörde stellte ihm sogar sechs Mann zur Verfügung. Als es zum Kampf kam, verbarrikadierte sich Athos im Keller der Gaststätte. Dort hausten er und sein Diener seither und ließ sich Essen und Trinken durch das Kellerloch reichen.
Plötzlich hörten sie im Keller wildes Lärmen.
"Da hört nur, wie er wieder wütet. Dabei möchte meine Frau nur etwas Wein für die Engländer holen, die gerade angekommen sind. Sie haben schon gedroht, die Kellertür einzuschlagen, wenn sie nicht das Gewünschte bekommen."
"Das werdet Ihr schön bleiben lassen, meine Herren!", rief d'Artagnan und zog die zweite Pistole aus dem Gürtel.
"Donnerwetter, das ist doch d'Artagnan!", schallte es dumpf aus dem Keller.
"Allerdings", rief dieser mit lauter Stimme.
"Das ist ja großartig!", jubelte Athos, öffnete die Tür und erschien bleich und ziemlich angetrunken. Der Wirt begann zu jammern. Der Keller war eine einzige Wein- und Olivenölpfütze. Überall schwammen Schinkenknochen und Würste und aus einem Fass rannen die letzten Tropfen des Rebenblutes.
D'Artagnan, der die Angelegenheit friedlich lösen wollte, vermachte dem Wirt Athos' altes Pferd. Dann bezogen sie das schönste Zimmer und begannen sich zu erzählen. Er berichtete, was aus Porthos und Aramis geworden war und erzählte von seinem eigenen Herzensleid.
Athos hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, dann sagte er hart: "Nichts als erbärmliche Geschichten."
"Wie kannst du so reden. Du hast ein Herz aus Stein und nie geliebt, sonst würdest du nicht so hart sein und mir mit Rat und Trost bei meinem Unglück zur Seite stehen."
"Soll ich dir eine Liebesgeschichte erzählen, die ein wirkliches Unglück ist?"
"Ist sie dir geschehen?"
"Oder einem Freund, das ist doch gleichgültig."
"Erzähl!"
Athos leerte sein Glas und begann finster lächelnd zu erzählen: "Ein Freund von mir, nicht ich, ein Graf aus Berry, verliebte sich mit fünfundzwanzig Jahren in eine bildschönes Mädchen, das mit ihrem Bruder, einem Pfarrer neu in der Gegend war. Sie gefiel ihm nicht nur, sie berauschte ihn und wenig später nahm er sie zu seiner Frau und machte sie zur ersten Dame der Provinz.
Eines Tages, als sie mit ihrem Gemahl auf der Jagd war, stürzte sie vom Pferd und wurde ohnmächtig… Der Graf eilte ihr zur Hilfe und riss ihre engen Kleider auf. Rate mal, was er auf ihrer Schulter erblickte?"
"Wie soll ich das wissen?", fragte d'Artagnan.
"Eine Lilie - sie war als Diebin gebrandmarkt. Der Engel war ein Teufel. Der Graf, war der Grundherr und konnte selbst über Leben und Tod entscheiden. So riss er die Gewänder der Gräfin vollends entzwei, band ihr die Hände auf den Rücken und hing sie kurzerhand am Ast eines Baumes auf."
"Ein Mord", flüsterte d'Artagnan entgeistert.
"Ja, ein Mord. Nichts weiter", sagte Athos und trank blass wie ein Leichnam sein Glas leer.
"Sie ist also tot?"
"Bei Gott, ja!"
Auch am nächsten Morgen war d'Artagnan noch sehr beeindruckt von der schrecklichen Erzählung seines Freundes. Es war fast eine Enthüllung - der Graf war sicherlich identisch mit Athos. Das wollte er herausfinden. Doch als er das Gespräch mit ihm suchte, wich Athos ihm aus und erweckte den Anschein nichts mehr vom Vorabend zu wissen.
Athos hatte noch in derselben Nacht mit den Engländern verhandelt und sein neues Pferd für hundert Dukaten verkauft. Er überredete d'Artagnan es ihm gleich zu tun.
So machten sie sich auf den Pferden ihrer Diener auf, um Aramis und Porthos abzuholen. Grimaud und Planchet nahmen die nächste Postkutsche nach Paris.
Aramis war wieder vollkommen gesund. Auch er hatte sein neues Pferd verkauft, weil ihm ein Edelmann achtzig Dukaten dafür geboten hatte.
Um ein Haar wäre Porthos der Einzige gewesen, der sein edles Tier vom Herzog mit nach Hause gebracht hätte. Aber kurz bevor die Freunde bei ihm eintrafen, hatte er es an einen anderen Gast verspielt. Die Advokatengattin, seine "Herzogin", hatte noch immer nichts von sich hören lassen und so mussten seine Freunde erst die Zeche beim Wirt begleichen, ehe sie aufbrechen konnten.
Es wurde eine stille Heimkehr. Sie erreichten Paris um die Mittagsstunde und gingen mit kurzem Gruß auseinander, um sich, jeder in seinem Quartier, von den Strapazen ihrer Englandreise zu erholen.