Wie ein Wilder stürzte d'Artagnan die Treppe hinunter, als er in vollem Lauf mit einem Musketier zusammenpralle, der vor Schmerz aufschrie.
"Entschuldigt!", rief d'Artagnan, und wollte weiterlaufen, "ich bin in großer Eile."
Kaum hatte er den ersten Treppenabsatz hinter sich, da hielt ihn eine Faust fest. "Ihr habt's eilig?", schrie der Musketier zornig. "Glaubt Ihr, weil Ihr mit anhörtet, wie Herr de Tréville mit uns sprach, könnt Ihr mit mir ebenfalls so umgehen? Da irrt Ihr Euch, Kamerad."
"So glaubt mir doch", stieß d'Artagnan ärgerlich hervor. "Es war nicht meine Absicht und ich bitte Euch nochmals um Verzeihung."
"An Euren Manieren merkt man, dass Ihr aus der Provinz kommt."
"Hätte ich es nur nicht so eilig, dann…"
"Nun, Herr Eilig - mich trefft Ihr auch ohne zu rennen: Gegen Mittag am Karmeliterkloster."
"Ich werde dort sein!"
Unser junger Gascogner rannte weiter, seinem Dieb hinterher. Weit konnte er noch nicht sein. Am Tor stand Porthos, der sich mit einem Wachposten unterhielt. Zwischen den beiden war eine Lücke, durch die d'Artagnan glaubte zu passen. Er schoss hindurch und verhedderte sich in Porthos' langem Mantel. Dabei machte er eine ungewollte Entdeckung. Die Rückseite des goldenen Wehrgehänges war aus gewöhnlichem Büffelleder. Der gute Porthos, der so großartig geprahlt hatte, konnte sich doch kein Gehänge aus purem Gold leisten. Daher trug er stets den schützenden Mantel!
"Scher dich zum Teufel!", brüllte Porthos, während er sich bemühte den zappelten d'Artagnan zu befreien.
Unser junger Wilder entschuldigte sich, wie bereits zuvor bei Athos. Doch Porthos ließ diese Demütigung nicht auf sich sitzen. "In einer Stunde, hinter dem Luxembourg", rief er dem davoneilenden d'Artagnan nach.
Er bog um die nächste Ecke, doch der Unbekannte war verschwunden. Was für ein Tag; es war noch nicht ganz elf Uhr und er hatte sich bereits zwei Duelle eingehandelt, mit Männern, die es leicht mit dreien seiner Sorte aufnehmen konnten. Böse Aussichten! So viel war sicher, Porthos würde er nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil das schon Athos erledigen würde.
Plötzlich entdeckte er Aramis, der sich mit drei Leibgardisten des Königs unterhielt. Der Musketier erkannte den jungen Gascogner, tat aber so, als sähe er ihn nicht. D'Artagnan wollte die Bekanntschaft erneuern und lief mit einer tiefen Verneigung auf die Gruppe zu. Zwar bemerkte er schnell, dass er nicht willkommen war, aber es fehlten ihm die nötigen Umgangsformen um sich gekonnt aus der Affäre zu ziehen.
Während er noch überlegte, beobachtet er, wie Aramis ein Taschentuch fallen ließ und offenbar versehentlich mit dem Fuß darauf stand. Dies schien eine gute Gelegenheit ins Gespräch zu kommen. Er bückte sich, zog das Taschentuch unter Aramis' Fuß vor, ohne zu erkennen, dass dieser mit aller Mühe daran festhielt, und überreichte es Aramis mit einem freundlichen Lächeln: "Ich glaube, mein Herr, Ihr würdet das Tüchlein nur ungern verlieren."
Aramis wurde puterrot und riss es dem Gascogner aus der Hand.
"Oho!", rief einer der Leibgardisten, "willst du immer noch behaupten, du wärst von Frau de Bois-Tracy getrennt, wo sie dir ihre Taschentücher ausleiht?"
Aramis bedachte d'Artagnan mit einem Blick, der keinen Zweifel aufkommen ließ, dass er sich soeben ein drittes Duell eingehandelt hatte. So kam es, dass er in zwei Stunden am Palais Tréville seine dritte Begegnung hatte, zu der er sicherlich nicht erscheinen würde!
Weil d'Artagnan in Paris niemanden kannte, erschien er ohne Sekundanten zum Stelldichein mit Athos. Er hatte den festen Vorsatz sich bei den Musketieren zu entschuldigen, ohne dabei Schwäche zu zeigen.
Als er vor dem Kloster ankam, war Athos bereits da. Der Gongschlag kündete die Mittagsstunde an. Athos, der noch immer große Schmerzen hatte, saß am Brunnen und erwartete seinen Gegner gelassen.
"Mein Herr", begann Athos, "ich habe zwei meiner Freunde gebeten, meine Sekundanten zu sein. Leider sind sie noch nicht zur Stelle."
"Ich habe leider keinen Sekundanten", entgegnete d'Artagnan, "denn ich bin erst gestern in Paris angekommen. Ich kenne nur Herrn de Tréville, der ein guter Freund meines Vaters ist."
Athos überlegt einen Augenblick. "Ha, wenn ich Euch töte, hält man mich noch für einen Kindermörder. Ihr seid noch sehr jung."
"Ich bin jung, dafür seid Ihr verwundet. Das sollte alles ausgleichen."
"Auf mein Wort, Ihr habt mir große Schmerzen zugefügt. Es wird jedoch kein Vorteil für Euch sein, da ich mit beiden Händen gleich gut fechte."
"Wenn Ihr erlaubt, Herr, ich bin im Besitz einer Wundsalbe, die mir meine Mutter mitgegeben hat und die ich bereits mit großem Erfolg bei mir probiert habe. Ich bin überzeugt, dass Ihr in drei Tagen wieder kerngesund seid und wir könnten unser Duell dann austragen."
Die Ehrlichkeit, mit der d'Artagnan dies sagte, beeindruckte Athos: "Alle Achtung - dies ist ein Vorschlag, der mir gefällt. Aber unser Duell wäre bis Morgen überall bekannt und man würde es verhindern wollen." Athos seufzte und blickte umher. "Verwünscht, wollen die Schlendriane denn überhaupt nicht kommen?"
Da tauchte am Ende der Straße Porthos auf.
"Was?", rief d'Artagnan. "Herr Porthos ist Euer erster Sekundant?"
"Ja, ich hoffe es ist Euch nicht unangenehm?"
"Nein, keinesfalls."
"Da kommt auch der zweite!"
Natürlich war es Aramis. Athos, der d'Artagnans Gesichtsausdruck falsch deutete, erklärte ihm, dass keiner von ihnen ohne den anderen auftritt und man sie in Musketierkreisen die Unzertrennlichen nannte. Porthos hatte sein Wehrgehänge gewechselt und wollte wissen, was das hier zu bedeuten hätte. Athos erklärte, er wolle sich mit dem jungen Mann duellieren.
"Ich werde mich ebenfalls mit ihm schlagen", entgegnete Porthos.
"Aber erst in einer Stunde!", bemerkte d'Artagnan.
"Und ich", rief Aramis, der näher kam, "schlage mich ebenfalls mit ihm."
"Aber erst um zwei", sagte d'Artagnan gelassen. "Da nun alle anwesend sind, möchte ich mich entschuldigen."
Bei diesen Worten runzelten die Musketiere die Stirn.
"Versteht mich nicht falsch, meine Herren. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich vermutlich nicht bei allen dreien meine Schuld abtragen kann. Herr Athos hat das erste Anrecht, mich zu töten." Und mit ritterlicher Geste zog er seinen Degen.
Es war Viertel nach Zwölf und die beiden Duellanten hatten ihre Degen noch kaum berührt, da bog ein Trupp der Leibgarde des Kardinals um die Ecke des Klostergebäudes.
"Die Garde des Kardinals", riefen Porthos und Aramis, "den Degen in die Scheide!"
Es war zu spät. Man hatte die beiden Kämpfer schon in ihrer Stellung gesehen.
"Holla", brüllte Jussac, der Hauptmann, "Ihr Musketiere habt wohl das Verbot vergessen. Steckt Eure Degen weg und folgt uns."
"Es sind fünf", sagte Athos halblaut, "und wir nur drei; wir werden abermals unterliegen."
Während Jussac und seine Mannen sich aufstellten, trag d'Artagnan zu den Musketieren und sagte: "Meine Herren, wie mir scheint, habt Ihr falsch gezählt. Wenn Ihr erlaubt, sind wir zu viert."
"Aber Ihr gehört nicht zu uns!", erwiderte Porthos.
"Ich trage nicht Euren Rock, aber mein Herz gehört den Musketieren."
"Wie ist euer Name?", frage Athos.
"D'Artagnan, Herr."
"Also meine Freunde, vorwärts!"
Die neun Kämpfer stürzten sich mit einer Wut aufeinander, die jedem Außenstehenden das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen.
D'Artagnan bekam es mit dem Hauptmann zu tun. Der begann schnell Fehler zu machen, weil er wütend darüber war, gegen ein Kind zu fechten. Nach einem furchtbaren Hieb fiel Jussac wie ein Klotz zu Boden. Unser junger Held sah sich um und erkannte, dass Athos seiner Hilfe am Nötigsten bedarf.
Gemeinsam gelang es den beiden, dass der Gegner wenig später mit durchbohrter Kehle zu Boden sank. Auch Porthos und Aramis machten kurzen Prozess und so zogen sie freudestrahlend zum Palais des Herrn de Tréville, um ihrem Hauptmann zu melden, dass die Scharte vom Vortag ausgewetzt sei.