Als Kind hatte sie Fächersprache gelernt, doch plötzlich sollte Anna Amalia als Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach regieren. Berühmt ist sie heute als guter Geist des Weimarer Musenhofs. Am 10. April 1807 ist sie gestorben.
Also, die Schuhe, jeden Tag neue. Die getragenen bekamen die Kammerfrauen. Anna Amalias Gang, so schwärmt ein Zeitgenosse, war ein Wandeln, "und die Treppe stieg sie hinauf leicht und sicher trotz Stöckelschühchen." Leichtigkeit und Sicherheit waren hart erarbeitet, von Kindesbeinen an. Das Leben einer Rokokoprinzessin war geprägt von Disziplin, Gottesfurcht und Gehorsam. "Nicht geliebt von meinen Eltern", erinnert sich die 33-Jährige, "immer zurückgesetzt, meinen Geschwistern in allen Stücken nachgesetzt, nannte man mich den Ausschuss der Natur." Mädchen galten nicht viel in dieser Zeit.
Fächersprache und strohgedeckte Häuser
Individualität, persönliche Wünsche, eigene Glücksvorstellungen wurden bei der Erziehung nicht berücksichtigt. Gelernt werden mussten die Regeln des höfischen Zeremoniells, Französisch, Musik, Tanz und Fächersprache.
Knapp sechzehn wird Anna Amalia mit dem achtzehnjährigen Herzog Ernst August Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach vermählt, ein zarter, kränkelnder Gatte, kein Haudegen und Fremdgänger. Eine gute Partie befindet die Familie, angesichts der Tatsache, dass die Prinzessin keine Schönheit war. Die Residenzstadt Weimar ist ein armes Nest, Schlamm und Unrat auf den Straßen, strohgedeckte Häuser. Die Untertanen ziehen zum Empfang des Paares, das einzige heile Hemd an, das sie besitzen. Die Bettler sind von der Straße verbannt.
"Die erste und reichste Freude" für Anna Amalia ist die Geburt des Stammhalters Carl August. Doch noch bevor der zweite Sohn Constantin auf die Welt kommt, ist sie bereits Witwe. Menuett tanzen hatte sie gelernt, regieren nicht. Sie fühlte sich überfordert, untüchtig, wie gelähmt und spricht von Zeiten "des Nebels und der Finsterniß." Dann besinnt sie sich auf ihre Chance, "unabhängig schalten und walten zu können."
Natürlich braucht sie zuverlässige Ratgeber, doch die Hauptlast trägt sie. Tag und Nacht studiert sie Akten, Erlasse und Verordnungen, um sich in die Materie einzuarbeiten. Zudem ist Krieg. Anna Amalia muss alle Register ziehen, um vom Onkel - Friedrich dem Großen - nicht untergebuttert zu werden. Sie behält nicht nur den Überblick über die Finanzen, sondern kümmert sich auch um das Sozialwesen, fördert die Künste und Wissenschaften. Wo das Geld nicht reicht, greift sie in die Privatschatulle. Den Bürgern öffnet sie ihre Bibliothek. Sie gründet eine Feuerversicherung und sorgt für die Verbesserung des Geburtswesens.
Geburtsstunde des Weimarer Musenhofs
Zeit für die Kinder bleibt da kaum. Carl August und Constantin werden Hofmeistern anvertraut, die sie der Mutter entfremden. Erst mit Christoph Martin Wieland kann Anna Amalia ein Herz und eine Seele sein. Dessen Berufung gilt als die Geburtsstunde des Weimarer Musenhofs. Als der achtzehnjährige Carl-August den jungen Goethe nach Weimar holt, ist Anna Amalia entzückt. Die Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit. Die Fürstin weiß den genialen - aber bürgerlichen - Draufgänger auch bei ihren pikierten Ministern durchzusetzen.
Mit der Regierungsübernahme des Sohnes beginnt für Anna Amalia der unbeschwerte Teil des Lebens. Mit ihren Hofdamen und Goethe werkelt sie um die Wette, wenn es gilt, ein neues Stück auf die Bühne zu bringen. Und bei den Tafelrunden im Wittumspalais geht es recht lustig zu. Die großen Geister Wieland, Goethe, Herder, Schiller dichten, deklamieren, streiten, basteln und musizieren. Manchmal spielen sie auch Karten oder Blindekuh. Anna Amalia schreibt, übersetzt und komponiert. Als Napoleon das alte Europa vernichtet, sinkt Anna Amalias Lebensmut. Sie stirbt in Weimar am 10. April 1807.