Charles Baudelaires Gedichte geben sich fasziniert vom Bösen, dem Tod und der Vergänglichkeit. Am 20. August 1857 wurde der Begründer des Symbolismus gerichtlich zur Tilgung von Gedichten verurteilt.
Ein seltsamer Vogel, der da in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Paris ging - wenn er überhaupt ging und nicht von Haschisch umdampft auf dem Diwan lag: in überweit geschnittener Kaschmirhose, blauem Rock mit Metallknöpfen, darüber ein hochstirniger Asketenschädel mit mokant verbittertem Breitmaul und brennenden Augenhöhlen, so streifte er durchs Quartier, angewidert vom Geschiebe der Menschenhaufen, von Bettlern, Vetteln, gefühlsfauler Bourgeoisie:
"Siehe, des Verbrechers Freund, der holde Abend, naht
Mit leisem Raubtierschritt, der Helfer bei der Tat;
Der Himmel schließt nun sacht des schweren Vorhangs Falten,
Zu Tieren wandeln sich die menschlichen Gestalten."
Baudelaire
Halbblut mit spitzer Brust
So sang er, hoffnungsmatt auf Laster wartend, um seinen täglichen "ennui", Lebensekel und Einsamkeit, zu bannen mit Opium, Haschisch, Wein, mit Freunden, mit trunkenem Dichten, mit Weibern - einer vor allem: Jeanne Duval, dem sündenfrohen Halbblut von der Insel Mauritius, mit "spitzer Brust", die ihm göttlich und tierisch zugleich schien.
"Einmal wurde in meiner Gegenwart die Frage gestellt, worin der höchste Genuss der Liebe bestände. Jemand antwortete natürlich: im Empfangen - und ein anderer: in der Hingabe. - Jener sagte: Lust des Stolzes, - und dieser: Wollust der Erniedrigung! All diese Schmutzfinken sprachen wie die 'Nachfolge Christi'. - Schließlich fand sich ein schamloser Utopist, der behauptete, die größte Lust der Liebe sei: dem Vaterland Bürger zu schenken. Ich aber sage: Die einzige und höchste Wollust der Liebe liegt in der Gewissheit, das Böse zu tun. Und Mann und Weib wissen von Geburt an, dass das Böse alle Wollust enthält."
Das ist, inmitten des reputierlichen "Zweiten Kaiserreichs" Napoleons III., ein unerhörter Ton, wie dieser Prophet des Bösen sich da aufs Erbsündenparadies beruft und gar den Christus-Tonfall imitiert: "Ich aber sage euch". Der solches kündet, ist Charles Baudelaire, 1821 zu Paris geboren, im selben Jahr wie Gustave Flaubert, mit dem (und mit Theophile Gautier, Gérard de Nerval, Honoré Daumier und weiteren Kunst-Modernen) er sich später im "Club des Hachichins", dem Haschisch-Club, vereint.
Obszönitätsanklage
Nur Flaubert traut sich nicht recht an die Droge, er will stets bei klarem Bewusstsein bleiben und messerscharf von außen beobachten, während Baudelaire tief in sich hinabsteigen und in den Labyrinthen des Selbst sich verlieren möchte, im Abgrund der Seele.
"So möcht ich einst zur Nacht,
Wenn der Wollust Stunden klingen,
Zu deinen Schätzen dringen,
Ein Feigling zu dir kriechen stumm und sacht,
Dich züchtigen, du Gesunde,
Zerpressen deine Brust,
Ins blühende Fleisch voll Lust
Dir schlagen eine breite, tiefe Wunde.
Und - Wollust unerhört! -
Durch dieser Lippen Reine
Gieß ich das süße, feine,
Mein schändlich Gift, das, Schwester, dich zerstört."
Dieser Text mit diesem Ton war allerdings eine Herausforderung des Wohlanstands. Als das Gedicht im Jahre 1857 als eins unter hundert oft ähnlich wilden erschien, und zwar unter dem schillernden Titel "Les Fleurs du Mal", die "Die Blumen des Bösen", fiel sogleich der Figaro wütend darüber her: "Nichts“, so zürnte der Kritiker, "kann einen über dreißigjährigen Menschen rechtfertigen, ein Buch mit derartigen Ungeheuerlichkeiten der Öffentlichkeit übergeben zu haben." Der Staatsanwalt war gleicher Ansicht und, noch wütend darüber, dass gerade eben die Obszönitätsanklage gegen Flauberts Roman "Madame Bovary" abgeschmettert worden war, verklagt er nun vor dem gleichen Gericht Baudelaires "Fleurs du Mal" - und diesmal ist er erfolgreich: Am 20. August 1857 verurteilt die Strafkammer den Verleger und seinen Autor zu Geldstrafen sowie zur Tilgung von sechs der hundert Gedichte.