"Moby Dick" im Rhein gesichtet(120518)

18. Mai 1966: Zum ersten Mal wird "Moby Dick" gesichtet, ein vier Meter langer Weißwal - im Rhein, auf der Höhe von Duisburg! Zoologen und Öffentlichkeit überschlagen sich vor Staunen und Begeisterung: Was tun mit dem Tier?

Mittwoch, 18. Mai 1966. Vormittags gegen halb 10 - Duisburg. Das Tankschiff "Melani" ist auf dem Rhein unterwegs. Plötzlich kommt es zu einer seltsamen Begegnung. Kann das möglich sein? Die Besatzung der "Melani" entdeckt im Rhein einen gut vier Meter langen Weißwal! Meldung bei der Wasserschutzpolizei. Ein Wal im Rhein? Nicht zu glauben! Sicherheitshalber führen die Beamten erst einmal Alkoholtests mit der Besatzung durch. Negativ. Jetzt beginnen auch die Polizisten an den Wal im Rhein zu glauben. Also Meldung ans Innenministerium. Aber nun wird dort der Polizei zunächst kein Glauben geschenkt. "Wer spricht denn da eigentlich?", will man in Düsseldorf wissen, als sich die ratlose Polizei am Telefon meldet.

 

Die Jagd beginnt

Inzwischen schwimmt der Wal ungestört weiter. Doch dann hat seine Ruhe ein jähes Ende: Der Direktor des Duisburger Zoos, Dr. Wolfgang Gewalt, ist so begeistert vom Wal, dass er ihn gerne für sein gerade neu eröffnetes Delfinarium hätte. Die Jagd auf den Wal beginnt. Erster Versuch: Einfangen mit Netz. Dr. Gewalt leiht sich also Tennisnetze, die miteinander verknüpft werden. Doch "Moby Dick", wie der Wal mittlerweile von seinen Fans an den Rheinufern genannt wird, will nicht ins Netz.

 

Zweiter Versuch. Dr. Gewalt ruft einen amerikanischen Delfin-Trainer zu Hilfe. Doch auch dessen Methode, eine Falle aus Stricken und Zaunpfählen, führt zu nichts. Dritter Versuch: Narkosepistole. Und Volltreffer! Aber jetzt ist "Moby Dick" betäubt und ertrinkt beinahe! Gott sei Dank nur beinahe! Wieder entkommt der Wal. Es scheint, als hätte "Moby Dick" einfach keine Lust auf ein Leben im Delfinarium.

 

Nicht auf das von Dr. Gewalt und auch nicht auf den englischen Zoo, in den er eigentlich hätte transportiert werden sollen. Deshalb hat er sich nämlich überhaupt erst in den Rhein verirrt: Erst vor kurzem hatte man ihn vor der Ostküste Kanadas gefangen. Dann war sein Schiff jedoch vor der englischen Küste in schwere See geraten, und "Moby Dick" wurde über Bord gespült. Das war seine Chance, erst einmal auf und davon - und rein in den Rhein, flussaufwärts nach Deutschland.

 

Dort ist er mittlerweile ein Medienstar, und das begeisterte Publikum scheint sich einig: Dr. Gewalts Fangmethoden sind kriminell. Bürger pilgern zu Hunderten zur Walbeobachtung an die Rheinpromenaden und protestieren gegen die Waljagd. Die Bildzeitung titelt: "Verhaftet Dr. Gewalt!". Tierschützer erstatten sogar Anzeige, und mehr noch: Von einem Luftschiff aus werfen Aktivisten Orangen in den Rhein um die Jagd zu sabotieren.

 

Letzter großer Auftritt in Bonn

Mittlerweile ist es Juni geworden, und wie es sich für einen Medienstar gehört: Pünktlich zur Pressekonferenz zur NATO-Politik taucht Moby Dick in Bonn auf. Politiker und Journalisten strömen aus der Konferenz, um den Wal vom nahen Rheinufer aus zu bestaunen. Das war sein letzter großer Auftritt. Nach dem Gastspiel in Bonn wendet "Moby Dick" endgültig und schwimmt flussabwärts Richtung Nordsee.

 

Mitte Juni meldet die Schifffahrts-Agentur Dirkzwanger, dass "Moby Dick" die offene See erreicht hat. Im Rhein wurde er seitdem nicht mehr gesehen. Trotzdem lebt er dort weiter. Auf dem Rhein fahren Ausflugsdampfer namens "Moby Dick", und die Duisburger Wasserschutzpolizei hat dem entschwommenen Wal wehmütig einen Funkrufnamen gewidmet: BELUGA, eine andere Bezeichnung für Weißwal.

 

Und noch etwas könnte geblieben sein vom Wal, vermuten jedenfalls Zeitgeistspezialisten: Gut 10 Jahre später beginnt nämlich die Naturschutzwelle Deutschland zu überrollen. Da könnte "Moby Dick" also vielleicht schon so etwas wie der erste Promi der Naturschutzbewegung gewesen sein. Natürlich, freiheitsliebend und weiß wie die Unschuld. Jedenfalls genau der richtige Star, um nach dem Wirtschaftswunder die Herzen für eine nächste große Idee zu erweichen!