Oblomow ist nicht nur eine Person, Oblomow ist ein Zustand. Er verkörpert den trüben Fluss der Unentschlossenheit, faul in träger Unterforderung vor sich hin fließend. Erfunden hat ihn Iwan Gontscharow, geboren am 18. Juni 1812.
Oblomow. Ein Wort mit drei O. So schwer und dunkel wie die Samtportieren vor dem hohen Fenster in einem besseren Stadthaus des 19. Jahrhunderts, mit Konsonanten, so dämpfend weich wie eine durchgelegene Matratze. Ein Wort - ein Mann. Oblomow ist so wie er klingt - und deshalb der große Antiheld der russischen Dichtung, eine einzigartige Figur der Weltliteratur. Faust müht sich unablässig strebend durch die Höhen und Tiefen menschlicher Existenz, Don Quichotte kämpft gegen Windmühlen, Odysseus erlebt unerhörte Abenteuer. Oblomow aber verbringt den größten Teil seines Lebens im Schlafrock auf dem Diwan und überlegt, ob er nun aufstehen soll oder nicht. Am Ende bleibt er liegen. Und am Schluss stirbt er.
Reizende Olga
Dabei könnte Oblomow ja so erfolgreich sein. Er hat etwas gelernt, sein Verstand ist scharf, seine Sinne sind lebendig, sein Gemüt ist heiter, seine Seele rein und klar. Und wenn er sich mal entschließt, das Bett zu verlassen, schafft er es sogar, mit beiden Füßen gleichzeitig in seine Pantoffeln zu schlüpfen. Aber Oblomow ist zu faul zum Leben. Und der Tod? Der erscheint ihm als willkommene Fortsetzung des Schlafes: Er hat den Vorteil, dass man sich dann nicht mehr um eine Gesundheit zu kümmern braucht.
Hat das Leben Oblomow denn gar nichts zu bieten? Und ob! Eine reizende Olga liebt ihn. Er bräuchte sie nur zu heiraten. Aber diese Papiere! Er besitzt ein idyllisches 300-Seelen-Gut, Oblomowka, auf dem er gut und gern leben könnte. Aber die beschwerliche Reise! Und er hat seinen deutschen Freund Stolz, der ihm immer wieder den Weg zeigt. Er bräuchte ihn nur zu gehen. Aber dazu müsste man Schuhe anziehen und die hat der faule Diener Sachar wieder mal nicht geputzt!
Dabei ist Oblomow in Oblomowka aufgewachsen, einem Nest, in dem man im Stehen schlafen lernt. Und das ist es: Der Bub ist überbehütet und unterfordert. Die Idylle erweist sich als Falle.
Mütterchen Russland bringt Oblomow um die Lebenskraft. Dafür stattet sie ihn aus mit ungewöhnlichem Feingefühl und einem Sinn für die Poesie der Muße.
Kauziger Diener
Man hat oft versucht, Parallelen zu ziehen zwischen Oblomow und seinem Schöpfer Gontscharow, geboren am 18. Juni 1812. Gewiss, beide lebten statt mit einer Frau mit einem kauzigen Diener zusammen, beide hassten nichts so sehr wie Unruhe, Unbequemlichkeit, Gesellschaften, Reisen, den Staatsdienst. Gontscharow aber hat ihn nicht quittiert wie Oblomow - und das, obwohl er wahrscheinlich von seinem frühen literarischen Ruhm hätte leben können. Er ließ sich, so kurios das klingt, sogar zum Zensor machen, trotz seiner Sesshaftigkeit um die halbe Welt schicken, und er schrieb: nie eilig, immer schön langsam, bedächtig, aber mit stetigem Fleiß. Mit der unsterblichen Figur Oblomows wollte er zeigen, wie man es eigentlich nicht machen sollte. Dem versagenden Landsmann hält er Stolz entgegen, den vernünftigen und tüchtigen Deutschen. Der hat immer Recht, kein Zweifel - Oblomow aber, Oblomow muss man einfach mögen.