Seine Maschinen-Kunstwerke rattern vor sich hin - monströs, lächerlich, sinnlos, und doch auch wie voll Freude an sich selbst. Manche begehen auch Selbstmord. Am 22. Mai 1925 wurde Jean Tinguely geboren.
Viele Menschen, besonders solche in Büros, verbiegen hinter andrer Leute Rücken Büroklammern zu seltsamen Gebilden: Sie spreizen ihnen die Schenkel und spießen Sektkorken daran auf, strecken den Draht längelang oder verknautschen und verhaken ihn listig mit andren ihrer Art, so dass, wer je Papier verklammern möchte, stattdessen eine Drahtschlingpflanze in Händen hält: ein kleines Kunstwerk, hübsch und ärgerlich. Immerhin ist derlei ein Einstieg zur kreativen Kunst: Man nehme, was so rumliegt, biege, forme, verschmelze es mit andren Funden und achte darauf, dass es am Ende Kunst sei. Und was zum Kuckuck ist Kunst?
Kunst entsteht. Oder vergeht. Oder bleibt.
Kunst ist, was ein Künstler Kunst nennt. Sie und ich - wir können dazu und dagegen sagen, was wir wollen, das ist schnurzegal. Wie es auch egal ist, ob ein Künstler es zur Kunst erklärt oder nicht. Das Ding ist. Es hat eine Wirkung. Dann ist es vielleicht weg; auch die Wirkung verfliegt - das Leben geht weiter, neue Kunst entsteht und vergeht. Oder bleibt.
In den 1930er-Jahren schnitt Alexander Calder ovale, fischförmige, sichelkrumme Bleche aus, hängte sie mit Ösen an langschwingende Eisenstäbe und verband mehrere von ihnen mit Ketten und Drähten, sodass sie in einem diffizilen Gleichgewicht kreisend schwebten; sein Künstlerkollege Marcel Duchamp nannte die im Luftzug graziös pendelnden Metallplatten "Mobiles", und zwanzig Jahre später baumelten in jedem Teenagerzimmer Miniaturmobiles von der Decke. Das war die saubere Wiederaufbauzeit mit Nierentisch und Petticoat - einerseits, und die Zeit des schwarz verrauchten Existenzialismus zum andren: Sartre, Beckett, Ionesco - und jede Menge abstrakter Kunst, atonale Musik, Op-Art, Pop-Art, Provokation und Explosion.
Es war die Zeit, da Jean Tinguely die Kunstwelt erstaunte mit seinen wild fuchtelnden Eisenhaufen, diesen in sich zappelnden, um sich zuckenden Großmaschinen aus Draht, Schläuchen, Zahnrädern und Motortrümmern, die, elektrisch angetrieben, spotzten und Dampf ausstießen, ächzend ihre Drahtgestänge schüttelten und gänzlich ohne Sinn sich regten, lebten und verfielen, wenn die elektrisch bemessene Zeit verzehrt war. Was heißt schon "ohne Sinn"? Welchen "Sinn" hat Kandinskys "Komposition Nr.12"?
Wunderliche Spaßmaschinen
Tinguelys Kompositionen aus Schrott und Gummi sind wunderliche Spaßmaschinen, manche sehen aus wie Erfindungen von Leonardo oder Daniel Düsentrieb, andre, vor allem die motorisch zum Leben erweckten, wie monströse Gaudibergwerke, womit sie die Bedingungen von Kinderspielzeugen erfüllen: krachen, stinken, sich bewegen. "Wenn meine Maschinen laufen", sagte er, "ist Freude mit drin, Ulk und Komik. Der Tragödie des technischen Zeitalters wird mit Humor begegnet, alles haben auch etwas Lächerliches ... es ist nie alles perfekt gemacht." Sein Künstlerfreund Yves Klein eröffnete eine Ausstellung des Titels "Le Vide", Das Leere. In den Sälen der Galerie war absolut nichts vorhanden.
Tinguely wurde zum Großmeister der kinetischen Kunst und zum Vorreiter der Happening-Bewegung; etliche seiner Kunstwerke zerstörten sich noch während der feierlichen Eröffnung: Die "Hommage à New York" brach 1960 mit Sprengstoffhilfe in Dampf und Schrott zusammen: "Die Maschine beging Selbstmord", kommentierte der Künstler; sein "Rotozaza I-III" über Kurbeln, Schwungräder und Treibriemen ratternd zerschlug im Schaufenster eines Berner Kaufhauses nichts wie Porzellan: zehn Teller pro Minute. Dada oder Meditation? Er liebte beides, er war Anarchist, Pfadfinder, Exkatholik, Kommunist. Jedenfalls ein Künstler. "Kunst ist Bewegung, Stillstand gibt es nicht", sagte Jean Tinguely und ruhte nie.