Karl Ludwig Nessler hat die Dauerwelle nicht direkt im Selbstversuch erfunden, vielmehr musste seine Frau den Kopf hinhalten. Haarsträubend war der Versuch aber allemal. Am 2. Mai 1872 wurde der Wellenkönig Nessler geboren.
Eine Dauerwelle ist eine anstrengende Frisur: Die perfekte Welle bleibt meist Fiktion. Wer zum Beispiel Jane Fondas üppiger Lockenpracht im Science-Fiction-Film Barbarella nacheifert, der endet nicht selten als toupiertes Meerschweinchen - eine dreiwetterfeste Wüste, auf Monate ins Haar betoniert. Der ehemalige Teamchef der deutschen Fußballnationalmannschaft, Rudi Völler, verdankt der Kräusel-Manie sogar seinen Spitznamen: Tante Käthe. Und die hatte den Dreh wirklich raus!
Leicht entflammbare Kopfhaut
Kein Wunder, dass auch die Geburtsstunde der dauerhaften Locke haarsträubend klingt: Katharina, eine in Paris lebende Frisörin aus Ulm, hatte sich überreden lassen, für die erste nachhaltige Haarumformung den Kopf hinzuhalten: Ihr Verlobter, Karl Ludwig Nessler, will ihr langes, glattes Haar in gewelltes verwandeln. Jahrelang hat der am 2. Mai 1872 im Schwarzwaldstädtchen Todtnau geborene Coiffeur auf diesen Moment hingearbeitet - 1906 ist es endlich soweit: Nessler bindet seiner Herzensdame drei Probesträhnen ab und bestreicht sie mit einem geheimnisvollen Gelee. Dann dreht er sie spiralförmig um einen Metallstab und traktiert die hornförmig abstehenden Gebilde mit einer rotglühenden Heizzange: Es zischt und brutzelt, Brandgeruch erfüllt die heimische Küche. Doch, autsch! Strähne eins verkohlt bis auf einen kümmerlichen Stummel. Strähne zwei bleibt unbekümmert glatt - auf der Kopfhaut sprießen schmerzhafte Brandblasen. Doch dann - als der Ondulier-Meister den letzten Wickler löst, springt Strähne drei ihm fröhlich geringelt entgegen. Katharinas Schmerzensschreie verwandeln sich in Freudentränen - so will es der Gründungsmythos. Und Karl Nessler macht sich daran, dicke Filzringe zuzuschneiden - zum Schutz für die leicht entflammbare Kopfhaut.
Die Locke boomt
Bis sich die neue Verlockung so richtig durchsetzen kann, soll es allerdings noch etwas dauern: Den endgültigen Durchbruch feiert Karl Nessler in den 1920er-Jahren, als es dem Schwarzwälder gelingt, ein millionenschweres Unternehmen in New York zu etablieren: Die Locke boomt. Nessler bekommt Auszeichnungen von Frauenorganisationen und darf sogar an Miss America Hand anlegen.
Statt der unhandlichen, feuerbeheizten Zangen kommen jetzt elektrische Heizpatronen zum Einsatz: Mit ihren ausladenden Armen erinnert die "Permanent Waving Machine" an eine furchteinflößende Kreatur aus der Tiefsee: Nesslers Damen stehen die Haare zu Berge.
Und bald auch Nessler selbst: Beim New Yorker Börsenkrach von 1929 verliert er über Nacht sein gesamtes Vermögen. In seiner Not versucht er sich an einer letzten Erfindung - einem Apparat zur Beseitigung der männlichen Glatze. Doch so recht ersprießlich scheint die Invention nicht gewesen zu sein. Karl Nessler stirbt verarmt in New Jersey. Bis heute fahren deutsche Frisöre zu seinem Grab und legen dort Blumen nieder.