Alles, was nicht greifbare Materie ist, kann auch nicht existieren - so der Kerngedanke des philosophischen Materialismus. Ludwig Büchner brachte ihn mit großem Erfolg unter das Publikum. Am 1. Mai 1899 ist er gestorben.
"Im März 1824 wurde ich aus dem ewig gebärenden und ewig verschlingenden Schoße der Mutter Erde an das Licht oder - besser gesagt - an die Finsternis der Welt befördert; denn mein späterer Lebenslauf auf derselben ließ mich stets mehr Dunkel als Licht erkennen."
Pessimist trotz sorgenfreien Lebens?
So düster beginnt die Autobiografie Ludwig Büchners, Bruder des Dichters Georg Büchner, die allerdings nie fertig gestellt wurde. Schon nach ein paar Seiten verlor der Autor die Lust an seiner Selbstdarstellung. Dennoch sind die wenigen Zeilen ungemein aufschlussreich und für die Nachwelt nicht minder überraschend als für Büchners Zeitgenossen. Ludwig Büchner - ein Pessimist mit depressiver Veranlagung? Schwer vorstellbar. Schließlich besaß Büchner all das, was nach landläufiger Meinung für ein glückliches Leben notwendig ist: genügend Geld, eine intakte Familie, Ansehen und Berühmtheit. Zu Letzterer hatte er es dank seiner philosophischen Neigungen gebracht. Aber der Reihe nach:
Ludwig war das fünfte von sechs Kindern und der Liebling seiner Mutter. Sein Vater, ein Medizinalrat, konnte seiner Familie im hessischen Darmstadt ein sorgenfreies Dasein ermöglichen - jedenfalls was die finanzielle Situation betraf. Sorgen bereiteten der Familie die Unruhen der 1830er-Jahre, in die auch Ludwigs ältester Bruder, der revolutionäre Georg, verwickelt war. Als dieser viel zu früh starb, brach für Ludwig eine Welt zusammen. Eigentlich wollte er in die Fußstapfen seines bewunderten Bruders treten und wie dieser ein Dichter werden; aber dann entschied er sich doch für ein Medizinstudium an der Universität in Gießen.
Im Revolutionsjahr 1848 war Ludwig Büchner in vorderster Front dabei. Er hob einen Studentenbund aus der Taufe, der sich für Freiheit und Demokratie einsetzte; und als die Gießener Bevölkerung zu den Waffen griff, um eine neue politische Ordnung zu schaffen, ließ sich Büchner zum Hauptmann wählen:
"Er exerzierte uns gemäß seiner sehr geringen militärischen Kenntnisse höchst unvollkommen, und als wir eines Tages an einer Mauer zur Linken hinmarschierten, hieß es plötzlich "links um marsch", worauf wir die Wand zwar nicht einrannten, aber vor derselben wie die Ochsen am Berge stehen blieben."
"Kraft und Stoff"
Ludwig Büchner schloss sein Studium mit einem glänzenden Staatsexamen ab. Nach einigen Jahren erhielt er als anerkannter Gerichtsmediziner einen Lehrauftrag an der Tübinger Universität. Das hätte so bleiben können, wenn Büchner nicht so unangenehm aufgefallen wäre. Schuld daran war sein 1855 erschienenes Werk "Kraft und Stoff". Büchner bekannte sich darin uneingeschränkt zum philosophischen Materialismus. Alles, was nicht greifbare Materie sei, könne schlicht und einfach nicht existieren, so sein Credo.
Gott und die Seele hielt Büchner für menschliche Phantasiegebilde und den Schöpfungsbericht der Bibel für ein Märchen. Er vertrat Darwins Evolutionstheorie, und genau das erhitzte die Gemüter seiner bibelgläubigen Zeitgenossen. Dabei sagte Büchner in seinem Werk nichts Neues. Er betrachtete sich vielmehr als Populärwissenschaftler, der die Erkenntnisse anderer in allgemein verständlicher Sprache transportierte. Sein Buch wurde binnen kürzester Zeit zum Bestseller. Innerhalb von fünfzig Jahren erlebte es 21 Auflagen und wurde in 15 Sprachen übersetzt. Ein grandioser Erfolg, für den Büchner allerdings einen hohen Preis bezahlen musste: Ihm wurde die Lehrberechtigung entzogen. Um sich und seine Familie über Wasser zu halten, ließ sich Büchner als Arzt in Darmstadt nieder. Glücklich machte ihn diese Arbeit nicht. Zum Ausgleich engagierte er sich in zahlreichen Vereinen und als Abgeordneter des Hessischen Landtags. Daneben schrieb er unermüdlich weitere Bücher, meist mit naturwissenschaftlich-philosophischem Inhalt. Büchner hatte sich zum Ziel gesetzt, der verblendeten Menschheit endlich die Augen zu öffnen. Diesen Zweck sollte auch der "Deutsche Freidenkerbund" erfüllen, den er 1881 gründete.
Die Aufklärungsarbeit dauerte Büchner allerdings zu lange. Am Ende seines 75jährigen Lebens - er starb am 1. Mai 1899 - stellte er resigniert fest: