Arien, Mimosen, Primadonnen - die Oper hat herrliche Klischees geliefert, immer gerne am Rande ihrer eigenen Karikatur. Der Komponist Benedetto Marcello hat über die Auswüchse der Oper seiner Zeit in Venedig ein satirisches Handbuch geschrieben. Am 24. Juli 1739 ist er gestorben.
Leben ist, wenn man zugucken muss, wie die Anderen um einen herum Unfug machen. Theater ist, wenn man zugucken muss, wenn sie einem vorspielen, wie Andere Unfug machen. Oper ist, wenn sie dazu auch noch singen.
Seit einigen hundert Jahren werden dem geneigten Publikum von der Opernbühne herab Ausschnitte aus dem Leben Anderer in mit Musik versetzter Form präsentiert. Die Herstellung eines solchen Spektakels ist ein Spektakel für sich. Und es sind Unmengen wichtiger Personen daran beteiligt.
Zitator:
"Librettisten, Komponisten, Sänger beiderlei Geschlechts, Intendanten, Orchestermusiker, Bühnenbildner, Theatermaler, Schneider, Pagen, Statisten, Souffleure, Kopisten, Mäzene und Primadonnenmütter."
Sprecher:
All diesen Herrschaften zu Nutzen und Frommen hat der Komponist Benedetto Marcello einen Ratgeber mit unverzichtbaren Tipps geschrieben. Anno 1722 erschien er in Marcellos Geburtstadt Venedig im Druck.
Zitator:
"Il teatro alla moda - Die neumodische Oper, oder: Sichere und einfache Methode, italienische Opern mit Erfolg nach der neuesten Mode zu komponieren und aufzuführen."
Sprecher:
Vorsichtshalber hatte Marcello das Büchlein ohne Nennung seines Namens erscheinen lassen. Denn wer ein bisschen darin herum las, der stellte schnell fest, dass es sich nicht um einen ernst gemeinten Ratgeber handelte, sondern um eine ätzende Satire.
Zitator:
"Der Sänger singe auf der Bühne mit nur halb geöffnetem Mund und zusammengepressten Zähnen. Er tue sein Bestes, dass nicht ein Wort von dem, was er singt, zu verstehen ist.
Richtet ein anderer Darsteller das Wort an ihn oder singt eine Arie, so grüße er selbst währenddessen von der Bühne aus die Zuschauer in den Logen, damit das Publikum auch wirklich bemerkt, dass er der Sänger Alfonso Mistgabello ist und nicht etwa jener Fürst, den er in der Oper darstellt."
Sprecher:
So kurios sie heute zum größten Teil anmuten: Die Zustände, die Marcello in seinem Ratgeber satirisch darstellt, hat er nicht erfunden. Anfang des 18. Jahrhunderts war in Venedig die Oper weniger Kunst denn Fast Food Betrieb. Jeder wollte dabei sein, groß rauskommen und viel Geld machen.
Aus ganz Europa strömten potentielle Mitwirkende in die Stadt, um dort ihr Glück zu machen, acht Opernhäusern wurden gleichzeitig bespielt, die Konkurrenz war groß, und zeigte eine Produktion nicht den gewünschten Erfolg, ließ die Aufmerksamkeit alsbald nach. An Aufführungen von heutiger Güte war nicht zu denken.
Zitator:
"In schlecht verkauften Vorstellungen gestatte der Intendant den Sängern, ihre Arien um die Hälfte zu kürzen, Rezitative zu überspringen und hinter der Bühne laut herumzualbern [...]."
Sprecher:
Die bei weitem wichtigste Figur auf der Opernbühne war jedoch die erste Sängerin, die Primadonna. Für ihre Gage ging die Hälfte der Produktionskosten einer Oper drauf. Ihren eifersüchtigen Kolleginnen gab das Anlass, sich primadonnenhaft zu benehmen.
Zitator:
"[...] Gleich nach Erhalt ihrer Partie zähle sie die Noten und Wörter darin. Sind es weniger als in der Partie der Primadonna, dann zwinge sie Librettisten und Komponisten, beide einander anzugleichen [...]."
Sprecher: