Hautporen wie Gebirgskrater, Brustwarzen wie Himbeeren - die Videokünstlerin Pipilotti Rist liebt nackte Tatsachen und schrille Ideen. Am 5. September 2009 hatte ihr Film "Pepperminta" Premiere.
Renommierte Museen zerpflücken ihre teuren Teppiche. Andere bohren tiefe Löcher in ihr altehrwürdiges Parkett. Kuratoren nehmen so einiges in Kauf, um eine Video-Installation der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist passgenau in den Fußboden einzulassen. Auf dem ebenerdig versenkten Bildschirm reckt die Künstlerin dem Besucher dann hilfesuchend die Arme entgegen. Sie ist nackt, der Bildschirm handtellergroß. Wären nicht ihre flehentlichen Schreie, so mancher würde über das flimmernde Loch im Boden einfach hinwegstiefeln.
Nichts Gestutztes!
Dass Pipilotti Rist zum begehrtesten Video-Export der Gegenwart gehört, hat auch mit ihrer Vorliebe für nackte Haut zu tun. Und dass es sich dabei meist um extreme Nahaufnahmen handelt - nun ja, das begründet die Künstlerin mit ihrer Kurzsichtigkeit: Hautporen wie Gebirgskrater, Brustwarzen wie Himbeeren - allerlei Schleimhaut wie rosig glitzernder Kandiszucker. Ausmaß und Üppigkeit der Schambehaarung weisen auf unbekümmerte Jahrzehnte hin: Das Gestutzte und Frisierte war Pipilottis Sache nie.
Geboren als Elisabeth Charlotte Rist, Jahrgang 1962, bleibt die Video-Künstlerin nicht nur völlig unbeeindruckt von Schamhaar-Moden, sondern auch von Designer-Outfit. Zu Pressekonferenzen erscheint sie in schlafanzugähnlichen Gebilden mit Hornbrille - nach eigener Aussage trägt sie die Garderobe ihrer Mutter auf. Es ist die Zeit, in der auf der anderen Seite der Welt noch eine andere Frau von sich reden macht, ein "Material Girl: Zwar gibt auch Madonna sich unverhohlen sexuell, doch erschöpft das Lack-und-Leder-Getue letztlich selbst biedere Gemüter. Die "Madonna der Videokunst" kommt aus der Schweiz und liebt es feucht, rosa und glitschig.
Als Hommage an die beliebte Kinderbuchfigur Pippi Langstrumpf ersetzt Elisabeth Charlotte ihre beiden Vornamen und wird Pipilotti - ein starkes Mädchen: Rist steckt einen Bildschirm in einen kanariengelben Badeanzug und projiziert Darmbewegungen.
In "Eindrücke verdauen" schluckt sie eine Kamera - vorne rein und hinten wieder raus. Pipilotti Rist stemmt zwar keine Pferde, hin und wieder werden ihre Ideen aber dennoch zum Kraftakt: Als sie in einer New Yorker Galerie Kameras in Toilettenschüsseln anbringt, weigert sich das feinsinnige Publikum, sich zu setzen. Das eigene Hinterteil auf dem Bildschirm? Jede Körperabtastung hat ihre Grenzen!
Zum Wohlfühlen?
Umso neugieriger ist man, als Rist am 5. September 2009 ihren ersten abendfüllenden Spielfilm präsentiert - auf den Internationalen Filmfestspielen in Venedig. Der Titel: "Pepperminta" - na klar - auch das eine Hommage an die Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf. Folgerichtig turnt ein rothaariges, sommersprossiges Mädchen über die Leinwand. Doch letztlich ist das moderne Pop-Märchen aus der digitalen Zauberküche dann nicht ganz so verführerisch wie erwartet. 80 Minuten schrille Provokationen sind doch etwas lang.