Adalbert Stifter glaubte, in Fanny Greipl seine "Heilige" gefunden zu haben. Am 1. Oktober 1829 beschwor er sie in einem Brief, auf ihn zu bauen. Doch der Dichter tat sich schwer mit dem Leben - und mit Fanny.
Vielleicht war Fanny Greipl ein vergnügtes, etwas pummeliges Mädchen von 19 Jahren, die mit ihren hübschen dunklen Augen hin und wieder dem einen oder anderen Freund ihres Bruders einen koketten Blick zu warf. Und sobald dieser Blick Wirkung zeigte, gleich wieder die Augen niederschlug nach dem Motto: Was erlauben sie sich! Nur um kurz darauf gackernd den Freundinnen von ihrem Triumph zu berichten.
Am besten verhungern
Doch bei einem Freund ihres Bruders, dem jungen Adalbert Stifter, hatte Fannys Blick eine solche Wirkung, dass ihr das Kichern verging. Wenn sie überhaupt ein Mädchen war, das gerne kicherte, so wie die Beschreibung eines Zeitgenossen vermuten lässt. Vielleicht war es ihre Fröhlichkeit, mit der sie dem schwerfälligen 21-jährigen Adalbert ein wenig Leichtfüßigkeit verlieh.
Vielleicht war sie aber auch eine aufopfernde Seelsorgerin, eine, in deren warmen Schoß Stifter seinen schweren, von Pockennarben übersäten Kopf betten konnte. Eine, bei der er rundheraus über den neuen Mann der Mutter schimpfen konnte. Eine, der er anvertrauen konnte wie traumatisch es für ihn gewesen war, als sein Vater tödlich verunglückte. Damals hatte der 12-jährige Adalbert beschlossen, selbst zu sterben: durch Verhungern.
Stattdessen war nun ein etwas dicklicher junger Mann aus ihm geworden, der sich sein Jurastudium in Wien als Privatlehrer in exquisiten Adelshäusern verdiente und dort mit seinem ungeschickten, vierschrötigen Körper das Biedermeiermobiliar in Gefahr brachte und über den Schoßhund der Gnädigen stolperte.
Heilige Fanny Greipl
Vielleicht war Fanny ja auch eine kluge Gesprächspartnerin, die hinter Stifters linkischem Benehmen, seinen großen Geist erkannte.
Vielleicht war sie von alledem ein bisschen - oder auch gar nichts. Wer der Mensch Fanny wirklich war, warum Stifter sie liebte, und weshalb sie seine Liebe erwiderte, wird man wohl nie mehr erfahren, denn die Briefe, die sie an ihn schrieb, sind verloren und außer einem Kinderporträt existiert kein Bild von ihr. Die Nachwelt kennt Fanny Greipl nur so, wie Stifter sie gesehen hat: als eine "Heilige" zu der sein "Innerstes betete". Vielleicht war es für ihn selbst nie wichtig wer Fanny wirklich war. Dafür war er besessen von der Angst, sie zu verlieren.
Am 1. Oktober 1829 schrieb Stifter einen seiner vielen Briefe an Fanny Greipl: ... baue und traue auf mich, eher verlasse ich das Leben, als dass ich dich verlasse. Doch die Drohung, sich umzubringen, die hatte schon damals seinen Vater nicht wieder lebendig gemacht, und sie sollte auch Fanny nicht auf Dauer halten. Fanny baute auf ihren Adalbert acht lange Jahre. Acht Jahre, in denen sie sich von ihm Eifersuchtstiraden anhören durfte und in den Augen der Gesellschaft zum "späten Mädchen" wurde, während er sein Studium vergeigte und sich Fannys Eltern immer aufs Neue als unmöglicher Schwiegersohn präsentierte.
Als sie mit 28 Jahren einen anderen heiratete und drei Jahre später im Kindbett starb, konnte Stifter sie endlich ganz zu seinem idealen Traumbild machen, das er in seiner Literatur immer wieder neu zum Leben erweckte. So lange, bis er sich schließlich, mit 63 Jahren, sein eigenes Leben nahm.