Kaiser Wilhelm II. tobte. Warum hatte dieser Erich von Drygalski in der Antarktis für Deutschland nicht die Flagge aufgezogen? Er war doch schon da! Am 28. September 1906 begründete Drygalski dafür in München die Geografie.
Der Münchner Süden hat eine Straße mit einem fast unaussprechlichen Namen: Drygalski. Im Berliner Süden gibt es auch eine. Dass die Münchner eine nach Drygalski benannte Straße haben, gehört sich. Dass die Berliner auch eine haben, verdient Respekt. Ja, doch. Erich Dagobert von Drygalski. Geboren 1865 in Königsberg, ehemals Ostpreußen, gestorben 1949 in München.
Über ein Jahr in der Antarktis
Es war die Zeit, als wohlbestallte Bürgersleute Erfrierungen und Entbehrungen ohne Ende auf sich nahmen, um als erste am Nordpol oder am Südpol zu sein. Für ihre Nation. Drygalski verdiente sich im normalen Leben in Berlin sein Brot als Erdvermesser. Er saß im Büro und rechnete. Sich dem Gelände auszusetzen, war nicht so seine Sache. Dann aber, mit 26, zog er mit drei anderen Forschern los, um ausgerechnet im finsteren arktischen Winter Westgrönlands Gletscher zu durchmessen. Das machte zu Hause Eindruck, denn wieder daheim bekam er einen Auftrag, den vor ihm noch keiner hatte: Er sollte die Antarktis erforschen, den letzten weißen Flecken auf der Landkarte.
Mit vier anderen abenteuerlustigen Forschern brach Drygalski 1901 auf. Über ein Jahr blieben sie dort. Sie ließen ihr Schiff vom Eis einschließen, fuhren mit Hundeschlitten auf dem Inlandgletscher herum, entdeckten einen Berg und stiegen mit Fesselballons bis zu 500 Meter in die antarktisch kalte Höhe.
Zwischen Eis und Eselspinguinen, Schnee und Seelöwen zeichneten sie die kalt-karge Geographie des sechsten Kontinents auf. Sie sammelten dabei so viel Material, dass Drygalski noch in den folgenden Jahrzehnten zwei Dutzend Bücher herausgeben konnte.
Aber eins hatte Drygalski keinesfalls vor: auf dem Südpol die deutsche Flagge zu hissen. Was hätte es, dachte er sich, dabei auch Großartiges zu entdecken gegeben? Nur Eis, Schnee, Strapazen, und das alles kannte er von Grönland.
1903 kam er heim, mit der erste Mensch, der den letzten unbekannten Kontinent erforscht hatte. Aber Majestät Kaiser Wilhelm II. waren nicht amused. Was Drygalski an wissenschaftlichem Material mitbrachte, kam ihm eher mager vor. Außerdem war gerade der Engländer Walter Scott tiefer in Richtung Südpol vorgedrungen als je einer vor ihm. Voller Zorn verweigerte der Kaiser per ordre de Mufti Drygalski die verdiente wissenschaftliche Karriere in Preußen.
Ende der Karriere?
Später sah Wilhelm II. neiderfüllt zu, wie Engländer und Norweger, die Amundsens, die Shackletons und die Scotts sich durch Eis und Schnee, Sturm und Kälte kämpften, um als erste für Volk und Vaterland am Südpol die nationale Flagge aufzupflanzen. Warum in Drei-Teufels Namen, so rauften sich Majestät die Haare, warum hatte das nicht bereits dieser Drygalski erledigt, schließlich war der ja schon Jahre vor all den anderen da unten gewesen?
Dem bayerischen Prinzregent Luitpold hingegen kam der Weitgereiste gerade recht. Am 28. September 1906 berief er ihn an die Universität München, und zwar auf einen der frühesten geografischen Lehrstühle in Deutschland. Dafür ehrten ihn die Münchner mit einer Drygalski-Allee, freilich erst spät. Lang vor ihnen, 1910, hatten das Gleiche bereits die Berliner getan, und zwar gegen den Willen ihres Kaisers. Respekt.