Ladislaus Kmoch hat mit seinem Seicherl ein Stück Comic-Geschichte geschrieben. Nicht nur, weil er bereits in der 1930er-Jahren einen Dialekt-Comic verfasst hat, sondern weil der Seicherl überhaupt der erste Daily Strip in Europa war. Also der erste täglich erscheinenden Kurz-Comic. Die Bildchen-Geschichten mit ihren Sprechblasen haben übrigens das Leben und Werk des linken Wiener Grafikers und Bildhauers Alfred Hrdlicka stark geprägt. Und Seicherls geistige Verwandtschaft mit dem kleinbürgerlich-opportunistischen Herrn Karl von Helmut Qualtinger ist auch nicht zu übersehen. Sie sind halt nie nur pure Erfindungen gewesen, diese Herren Karl oder Seicherl oder sonstwie aus der Grantler-Metropole Wien.
Tobias Seicherl - trauriger Comic-Held und Opportunist, Prototyp des kleinen Mannes, später offen mit Hitler sympathisierend. Am 5. Oktober 1930 erschien die erste Folge von Europas erstem Daily Strip in einer Wiener Zeitung.
Wenn neuere Veröffentlichungen zum Thema Grant nicht völlig falsch liegen, dann ist Wien - neben München - eine von zwei Hauptstädten auf der Achse des grantigen Lebensgefühls. Die österreichische Metropole hat schon viele bedeutende Grantler und Grant-Darsteller hervorgebracht. Da wären der frühere Bundeskanzler Bruno Kreisky oder die Fußball-Legenden Ernst Happel und Max Merkel zu nennen. Dann natürlich Johann Julier, der raunzende Grantscherben aus Wien-Margareten, besser bekannt unter seinem Schauspielernamen Hans Moser. Auch der stets grimmig dreinblickende Künstler Alfred Hrdlicka war ein echter Grant-Master. Oder der geniale Helmut Qualtinger - als Kabarettist, Schauspieler und Schriftsteller einer der großen Durchleuchter der österreichischen Seele, die eben stets gern raunzt und grantelt.
Ein bisserl deppert
Sucht man nach historischen Vorbildern, könnte man bis ins neunzehnte Jahrhundert zurück gehen, etwa bis Johann Nestroy, der auch schon diesen bestimmten Typus des österreichischen Kleinbürgers beschreibt. Und im 20. Jahrhundert ließe sich sogar ein ganz konkretes Datum nennen, der 5. Oktober 1930. An jenem Sonntag erblickte Tobias Seicherl das Licht der Welt. Was nicht ganz wörtlich zu nehmen ist, denn Seicherl war kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eine Comic-Figur, gezeichnet vom Wiener Karikaturisten Ladislaus Kmoch.
Der etwas tollpatschige Seicherl erlebte seine Abenteuer in der Boulevardzeitung "Das Kleine Blatt", das im sozialistischen Vorwärts-Verlag erschien. Die Leser waren also in der Regel weltanschaulich gefestigt. Als Genossen hatten sie wenig zu tun mit dem traurigen Comic-Helden und Opportunisten Tobias Seicherl. Der war nämlich der Prototyp des kleinen Mannes, christlich-sozial, kleinbürgerlich, erst dem Austro-Faschismus zugeneigt und später offen mit Hitler sympathisierend. Seicherl ist halt ein "Seicherl" - was im Wiener Dialekt soviel bedeutet wie "ein ängstlicher Mensch".
Das Fähnchen immer in den Wind hängend, haut es diesen einfachen Wiener ständig auf die "Goschn", worüber der rote Zeitungsleser natürlich gern lacht, handelt es sich doch erstens: um den Klassenfeind und zweitens: um einen festen Trottel. In der Tat ist Seicherl ein bisserl deppert. Das einzig Schlaue an ihm ist sein Hund Struppi - die Stimme der Vernunft, die seinem Herrchen stets gut zuredet. Vergeblich natürlich.
Erster Daily Strip Europas
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