In der Reichspogromnacht am 9. November 1938, als die systematische Verfolgung der deutschen Juden begann, rettete Frieda Kahle eine auf der Straße herumirrende jüdische Familie. Der Auftakt zu einem jahrelangen Versteckspiel.
Eine riesige Arche, auf der alle Platz haben: Mama, Papa, Mäxchen und er selbst, Sascha. Keiner kann ihnen in dem Schiff was tun. Sasha ist erst sechs. Er presst sich fest an Papas Bauch und versucht, innerlich das Wort Ozean zu buchstabieren. Er will sich ablenken von den berstenden Glasscheiben um ihn herum und davon, dass Mama weint. Wenn er die Augen öffnet sieht er lodernde Flammen. Er macht die Augen wieder zu, versucht sich den Ozean vorzustellen und das Schiff. Stattdessen sieht er das Bild, wie der Nachbar totgeprügelt wird.
"Komm mit!"
Plötzlich steht eine Frau vor ihnen. Sasha gefallen ihre Augen, sie sind ein bisschen frech, wie von einer kleinen Maus. "Kommt mit!", sagt die Frau. Die Familie folgt ihr durch die nächtlichen Straßen Berlins. Es ist der 9. November 1938, die "Reichskristallnacht", wie der Berliner Volksmund die Ereignisse schnell nennt Die Frau heißt Frieda Kahle. Sie ist "Arierin" und könnte, wie mancher andere, aus dem Fenster schadenfroh zusehen, wie die Besitztümer der beneideten Cohns und Güldensterns zersplittern. Oder sie könnte in Schockstarre auf ihrem Sofa sitzen, wissend, dass draußen furchtbares Unrecht geschieht. Doch Frieda Kahle geht hinaus und riskiert ihr eigenes Leben, um das einer jüdischen Familie zu retten.
Sascha fürchtet sich erst vor dem grimmigen Mann im Rollstuhl. Er ist nicht froh über die vier Fremden, mit denen er und seine Frau Frieda nun ihre Wohnung teilen. Frieda besteht darauf, dass sie hier bleiben, bis sich die Lage entspannt. Doch die Lage für Juden in Deutschland wird immer schlimmer. Keiner darf wissen, dass Sascha, Mama, Papa und Mäxchen bei Frieda leben. Sie wohnen in der Wäschekammer. Hier ist es fast wie in der Arche. Und von Frieda lernen Sascha und Mäxchen, wie sie sich verhalten müssen. Sie sagen allen, dass sie Friedas Pflegekinder sind. Die Eltern verstecken sich in der Wohnung vor den wachsamen Augen des Blockwarts. Sascha heißt jetzt Günther, weil das ein Name ist, der dem Blockwart gefällt.
Eines Tages stinkt es in der ganzen Wohnung, nach Wasserstoffsuperoxyd, wie Papa sagt. Mama ist jetzt blond, weil das eine Farbe ist, die dem Blockwart gefällt. Denn sicher ist sicher, falls sie doch einmal gesehen wird.
Wie Versteckspielen
Frieda und ihrem Mann gehört eine Drahtverarbeitungsfabrik. Günther, alias Sascha darf mit den Silberdrahtabfällen spielen. Er und Mäxchen wissen genau, wie laut sie "Heil Hitler" rufen müssen, damit der Blockwart sich freut. Manchmal denkt Sascha, es ist wie Versteckspielen. Doch wenn er nachts das Schluchzen seiner Eltern hört bekommt er Angst. Dann denkt Sascha wieder an den Ozean. Er wird auch Frieda mit auf das Schiff nehmen und auch ihren gelähmten Mann. Er ist nicht mehr ganz so grimmig. Bei Fliegeralarm können nur die Kinder mit in den Luftschutzkeller, damit das Geheimnis nicht auffliegt. Erst ganz am Schluss kommen auch die Eltern mit in den Keller. Der Blockwart lässt Mamas blondierte Haare durchgehen.
Dann passiert das schlimmste. Sie sitzen unten im Luftschutzkeller als es heißt: Der Krieg ist aus. Saschas Vater wagt sich als erster nach oben. Eine Kugel trifft ihn am Kopf. Er ist tot.
Sascha wird Silberschmied, Mäxchen Juwelierhändler in Brasilien. Frieda erhält 1981 das Bundesverdienstkreuz. Doch es gibt einen Gegenstand, der ihr viel mehr bedeutet. Sasha schenkte ihr seine erste große Schmiedearbeit: ein silbernes Schiff, das mit vollen Segeln der Zukunft entgegensteuert.