Fast wäre Friedrich Heine auf 40.000 Paar frischen Würstchen sitzen geblieben. In der Not kam ihm die rettende Idee: Würstchen in Dosen. Gegründet hat Friedrich Heine seine Fabrik am 23. November 1883.
"Die Krise als Chance" schrieb ein Immenstädter Unternehmer auf ein Stück abgefallenen Putzes, als das Hochwasser im Haus bis unter die Decke gestiegen war. Der Mann verfügte über Galgenhumor und eine gehörige Portion Optimismus. Beides brauchte auch Friedrich Heine aus Halberstadt, als ihm das Wasser bis zum Halse stand. Der junge Fabrikant hatte sein ganzes Geld auf einen grossen Tag gesetzt: Kaiser Wilhelm II., Könige und Fürsten und viele Tausend Zuschauer wurden zur Einweihung des Kyffhäuserdenkmals 1896 erwartet. Heine durfte zum würdigen Ereignis die Würstchen liefern: 40.000 Paar. Aber ein kräftiges Unwetter machte dem Fest vorzeitig ein Ende. Heine blieb auf seinem Würstchenberg sitzen und glaubte sich ruiniert.
Auf einer Kochkunstausstellung
Aber es blieb eine kleine Hoffnung. Der experimentierfreudige Unternehmer hatte seit einigen Jahren erfolglos versucht, seine Würstchen haltbar zu machen. Als endlich doch einer der unzähligen Versuche gelang, setzte der Wurstkoch alles auf eine Karte: Drei Viertel der Festwürstchen wurden nach dem Räuchern konserviert. Der Erfolg zeigte sich erst hinterher: Die Würstchen blieben geniessbar. Schon einen Monat später präsentierte das kleine Unternehmen auf der Kochkunstausstellung in Wiesbaden eine Weltneuheit: Würstchen in Dosen. Damals suchte alle Welt nach Methoden, Lebensmittel haltbar zu machen: Louis Pasteur erfand das Pasteurisieren, Justus Liebig entwickelte seinen berühmten Fleischextrakt, in England wollte ein Komitee die Erfindung von Fleischkonserven fördern und in Australien und Südamerika starteten die ersten Kühlschiffe, die Fleisch von den weiten Weidelandschaften der neuen Welt in die Kochtöpfe Europas befördern sollten: 1880 landete das erste tiefgefrorene Kalb aus Australien in der Hofküche von Queen Victoria. Die Konservendose war bereits bekannt. Francois Nicolas Appert hatte in Frankreich schon 1812 gekochte Speisen in Weissblechbüchsen gefüllt. Ausgerechnet ein Konditor im Land der Feinschmecker hatte die Erfindung gemacht, die für Gastrokritiker das Ende der Kochkunst einleitete.
Im Magen eines Hais
Aber Konservieren war nie eine Frage des guten Geschmacks. Es ging um die Versorgung in Notzeiten, um Ernährungspolitik. Im Zeitalter der Industrialisierung galt es, die rasch wachsende Stadtbevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Wer 14 Stunden am Tag arbeitet, hat kaum Zeit zum Kochen oder Vorräte anzulegen. Allenfalls Sauerkraut gärte im Steinguttopf im Keller. Da war ein erschwingliches Essen aus der Dose ein Geschenk des Himmels - solange sich der Deckel nicht wölbte. Die Technik war noch lange nicht ausgereift. Um 1900 scheiterten Polarexpeditionen, weil der Proviant in Büchsen nicht luftdicht verschweisst war und verdarb. Dem unaufhaltsamen Aufstieg der Halberstädter Würstchenfabrik konnten solche Nachrichten nichts anhaben. In einer Junggesellenküche hatte der 20-jährige Friedrich Heine am 23. November 1883 seine "Fabrik" gegründet. Dreissig Jahre später besaß der Unternehmer die grösste und modernste Würstchenfabrik Europas mit Exportverbindungen in alle Welt.
Als Graf Luckner bei seiner Weltumseglung 1928 einen Haifisch erlegte, fand er in dessen Magen eine Würstchendose von Heine, Halberstadt. Die pro Jahr für die Würstchen benötigten Schafdärme ergaben eine Länge von 40 000 Kilometern: "die Weltkugel umsäumt mit einem Kranz von Würstchen aus Halberstadt", schwärmte ein Zeitgenosse. Die Firma überstand NS-Zeit, Weltkrieg und die Planwirtschaft der DDR und ist mit ihren extra lang geräucherten Würstchen im Naturdarm auch heute wieder ganz vorne mit dabei, wenn es in Deutschland um die Wurst geht.