Charles Darwin erforschte nicht nur die Evolution, er fragte sich auch, warum Neugeborene schon so strahlen können. Am 26. November 1872 erschien "Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren".
Mimik ist Macht. Das wissen alle, die einen Hund haben. Besser gesagt: die, die ihr Hund fest im Griff hat. Wenn er da sitzt, den Kopf schief gelegt, ein Ohr leicht abgeknickt, eine Augenbraue hochgezogen, die Zunge an der Nasenspitze: ein Ausbund an bemitleidenswerter Kreatur, sichtlich dem Hungertode nah. Kaum ein fühlender Mensch, der dem widerstehen könnte. Die Wurst in seiner Hand ist dem Hund sicher.
Gesträubte Nackenhaare
Wie kann das sein? Woher weiß der Hund, mit welchen Signalen er den Menschen dazu bringt, alle Prinzipien über Bord zu werfen? Ist es ihm angeboren? Hat er es gelernt? Oder haben seine Vorfahren im Laufe der Evolution diese Kunst erworben und verfeinert? Solche Fragen stellte sich Charles Darwin - jener Forscher, der bereits 1859 mit seinem Werk "Die Entstehung der Arten" für Furore gesorgt hatte. Darin hatte er die These aufgestellt, dass der Mensch und der Affe gemeinsame Vorfahren haben; dass der Mensch ebenso wie Tiere ein Produkt der Evolution ist und nicht von vornherein ein göttlicher Entwurf.
Nun kam dieser Darwin wieder mit einer neuen Idee. Niemand vor ihm war darauf gekommen, Fragen nach Herkunft und Ausdruck der menschlichen - und tierischen -Gefühlsregungen zu stellen. Darwin war schon um 1840 angesichts seines Erstgeborenen ins Grübeln gekommen. Der lächelte ihn aus blauen Babyaugen so entwaffnend an, dass Darwin sich fragte, woher der neugeborene Knirps wusste, wie man so lächelt. Oder aber wütend schrie und dabei das Gesicht zu einer Grimasse verzog, die jeder Mensch weltweit versteht.
Und das nicht nur unter Menschen. Darwin stellte fest, dass ein Mensch, wenn er aggressiv wird, ganz ähnliche Körperreaktionen an den Tag legt wie ein Affe oder ein Hund: die Nackenhaare gesträubt, die Zähne gefletscht, für Mensch wie Tier die gleiche unmissverständliche Geste.
Geerbte Gefühle
Alle diese Beobachtungen fasste er in seinem Buch "Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren" zusammen, das am 26. November 1872 erschien. Es erregte viel Aufsehen, verkaufte sich in den ersten vier Monaten gleich 9.000 mal.
Doch dann verebbte das Interesse. Denn andere Forscher fochten seine Thesen an. Allein dass Tiere überhaupt Gefühle haben können, war und ist bis heute stark umstritten. Darwin war anhand von systematischen Versuchsreihen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gemütsbewegungen von Tier und Mensch sich durch die Evolution hinweg entwickelt haben - dass sie also nicht nur vom Individuum angelernt, sondern Teil seines biologischen Erbes sind. Dem widersprachen die neuen Strömungen der Verhaltensforschung, die rasch an Popularität gewannen; zum Beispiel John B. Watson mit dem Behaviorismus, der besagt, dass Lernen ausschließlich auf Reiz-Reaktions-Verknüpfungen fußt - also auf der Erfahrung jedes einzelnen Individuums. Darwins Buch geriet in Vergessenheit - und erst seit kurzem erleben seine Fragen und Thesen wieder größere Beachtung.
Eines lässt sich zweifelsfrei festhalten: Die nonverbale Verständigung zwischen Hund und Mensch funktioniert hervorragend. Wer dabei wen mittels Mimik beherrscht, steht außer Frage. Bis der Mensch einmal eine so ausgefeilte Kunst der mimischen Verführung an den Tag legt wie der Hund, der ihm die Wurst abtrotzt, muss er wohl noch über viele Generationen üben.