"Danke, i hab gnua gsessn", soll Josef Fischer am 30. Juni 1893 geantwortet haben, als ihm am Ziel in Berlin eine Sitzgelegenheit angeboten wurde. Logisch. Der bayerische Radpionier hatte ja gerade 31 Stunden im Sattel verbracht.
Auf dieses Debakel hatte die Radlerlobby nur gewartet: Fast drei Tage brauchten österreichische und deutsche Offiziere für ihr Wettreiten zwischen Wien und Berlin. Doch den Tieren war‘s zu viel: 30 Pferde überlebten den Gewaltritt nicht, das Siegerpferd brach im Ziel tot zusammen. "Unglaubliche Tierquälerei", hieß es in den Radsportzeitungen - und: "Wir können das viel schneller!" Jetzt wollten sie es den arroganten kaiserlichen Militärschnöseln endlich zeigen, dass ihre edlen Stahlrösser haushoch überlegen waren.
Rennpferde gegen Stahlrösser
Ein Wettbewerb musste her: Genau die 582,2 Kilometer zwischen Wien und Berlin - wer ist der Schnellste? Radler wurden damals noch milde belächelt, wenn sie mit ihren halsbrecherischen Hochrädern die Straßen unsicher machten. Dabei waren die Bicyclisten selbst davon überzeugt, dass sie auf dem Fortbewegungsmittel der Zukunft saßen ...
Im Juni 1893 sollte das Spektakel stattfinden. 117 Fahrer traten an. Non-stop, von Wien-Floridsdorf nach Berlin-Tempelhof, 250 Anstiege, tollkühne Abfahrten - und das alles ohne Freilauf und Gangschaltung. Ein Mann übernahm die Führung, mit dem eigentlich keiner gerechnet hatte: der 28-jährige Josef Fischer, mit charakteristischem Schnauz- und Kinnbart, vom Velociped-Club "Germania" in München. Ein gebürtiger Oberpfälzer und gelernter Schmied, der sich als Dienstmann durchschlug. Aber seine eigentliche Stärke spielte er auf dem Sattel seines "Opel-Victoria-Blitz" aus, einem hochmodernen "Halbracer", ein Niederrad mit 15 Kilo Gewicht. Nicht einmal ein verheerendes Gewitter konnte ihm was anhaben: Josef Fischer erreichte Berlin am 30. Juni 1893 - nach einer Fahrt von 31 Stunden, einer Minute und 22 zwei Fünftel Sekunden.
Grenzenlose Euphorie am Ziel, die Radfahrerverbände träumten schon davon, die Militär-Reiter abzulösen: Das "Stahlrad", die "Kavallerie der Zukunft"! Josef Fischer dachte an Naheliegenderes: Als man ihm nach der Zieleinfahrt einen Stuhl anbot, wies er das freundliche Angebot mit den Worten zurück: "Danke, i hab gnua gsessn." Wahrscheinlich war er einfach froh, den Allerwertesten nach 31 Stunden mal entlasten zu dürfen ...
Fischer wurde der erfolgreichste Radrennfahrer seiner Zeit. Er gewann Moskau-Sankt Petersburg, Mailand-München, Paris-Robaix. 1903 wurde er bei der ersten "Tour de France" immerhin Fünfzehnter, aber da neigte sich seine Karriere bereits dem Ende zu. Fischer blieb in Frankreich und arbeitete in Paris als Droschenkutscher und Taxifahrer.
Das Radlfahren hatte keine bedeutende militärische Zukunft. Ein Grund war, dass den Offizieren die "katzenbuckelartige" Haltung nicht gefiel, mit der sich die Velocipedisten über ihre Räder beugen mussten. So was sei eines Mannes in Uniform unwürdig, hieß es. Trotzdem - unbeabsichtiger Nebeneffekt! - wurde das Radeln bei der Zivilbevölkerung unglaublich populär: Zu Rennen kamen Zehntausende, richtige Volksfeste.
Doping mit Whiskey und Weißwein
Woher der Held der Distanzfahrt Wien-Berlin, Josef Fischer, die Energie für diese gigantische Anstrengung nahm? Darüber schweigen die Quellen. Es lässt sich nur spekulieren: Über Whiskey, Weißwein. "Kau-Kola" und andere Substanzen, die damals auch schon unter der Hand kursierten ...