Die Familie war entsetzt: Riekchen dichtet! Und zwar so schlecht, dass sie glatt gedruckt wurde. Deutschland lachte Tränen über den "Schlesischen Schwan". Doch Friedrike Kempner, geboren am 25. Juni 1828, war das egal.
Die Kempners hatten´s nicht leicht. Als jüdische Familie hatte man es sowieso nicht leicht in Schlesien. Jetzt, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da man es endlich geschafft hatte, ein Rittergut zu erwerben und Respekt und Ansehen zu erlangen, jetzt plötzlich drohte ein Schlamassel in Gestalt von Tante Riekchen!
Schauerlich und mit Gefühl
Nein, sie war keine Mesalliane eingegangen, hatte also irgendeinen dahergelaufenen Herzensbrecher geheiratet. Sie stand auch auf keiner Varietébühne, um lüsternen Herren einen Blick auf ihre langen Unterhosen zu gewähren. Tante Riekchen, bzw. Friederike, hatte beschlossen, ihr Leben lang jungfräulich zu bleiben und - zu dichten. Verse voller Inbrunst, für deren unfreiwillige Komik Friederikes Anverwandten allerdings der Humor fehlte. Doch unverstanden zu sein, ist das nicht der wahre Kern des Künstlers? Und so dichtete Friederike:
"O wisst ihr, was ich denke?
O nein, ihr wisst es nicht!
Wenn ich mich ganz versenke,
Dann denk ich ein Gedicht!“"
Wer vermutet, Friederike habe sich in ihrer Lyrik vor allem mit Veilchen und Vergissmeinnicht befasst, der irrt. Die Unmenschlichkeit der Einzelhaft, das Auseinanderklaffen der sozialen Schere - das waren ihre Themen!
"Besessen ist die Welt
Von Eigennutz und Geld,
Und alles zum -
Verzweifeln dumm!“
Besonders das zu jener Zeit nicht seltene Schicksal der scheintot Begrabenen, ließ sie zu dichterischer Höchstform auflaufen und für die gesetzliche Einführung von Leichenschauhäusern plädieren. "Stürmisch finst´re Nacht, Kind im Grab erwacht ... " Das waren Verse, die man um 1870 wenig erbaulich fand, weshalb Friederikes Gedichtband zunächst nur im Selbstverlag erschien.
Durch Zufall geriet er in die Hände des Schriftstellers Paul Lindau, der höchst amüsiert über die Stilblüten der schlesischen Jungfer, ihre Werke in seiner Wochenschrift vorstellte. Quasi über Nacht wurde die 45-Jährige zur Kultpoetin. Deutschland platzte fast vor Lachen über Friederike Kempner und feierte sie als "schlesischen Schwan" und Königin der lyrischen Verirrung.
Post für den Kaiser
Und Tante Riekchen? Sie sah ihren Erfolg als verdienten Lorbeer an, auf dem sie sich aber keinesfalls ausruhte. Sie kümmerte sich um Arme und Kranke und schrieb nicht nur unfreiwillig komische Gedichte, Novellen und Dramen, sondern auch kluge Denkschriften. Kaiser Wilhelm I., bombardiert von Tante Riekchens Plädoyers, führte schließlich eine gesetzliche Wartefrist für Beerdigungen ein, welche die Bestattung eines Scheintoten ausschließen sollte.
Am 25. Juni 1828 wurde Friederike Kempner, eine der komischsten und couragiertesten Personen der Literaturgeschichte, geboren. Wir wollen ihr mit ihren eigenen Worten gratulieren, mit denen sie einst Heinrich Heine besang:
"Singe in des Himmels Sphäre,
Alle Engel stimmen ein,
Witzli Putzli sei vergeben -