Schon im dunklen Mittelalter war Leipzig ein heller Fleck dank seiner berühmten Messe. Richtig spannend wurde das Leipziger Messegeschehen vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg: Am 8. Mai 1946 eröffnete die "Friedensmesse".
Man nennt sie die "Mutter aller Messen" und nicht nur deswegen, weil ihre Anfänge schon im 12.Jh. liegen sollen, nicht nur deswegen, weil sie Maßstäbe gesetzt hat für alle anderen Messen. Man nennt sie so, weil die Leipziger ihre Messe lieben und von ihr leben wie kaum eine andere Stadt. Nichts konnte sie von ihrer Messe abbringen, nicht einmal der Dreißigjährige Krieg, nur die Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg, der ganz Leipzig in Schutt und Asche legte.
Ideen muss man haben!
Doch bereits ein Jahr nach Kriegsende, am 8. Mai 1946, ging es weiter: Die erste Nachkriegsmesse, auch "Friedensmesse" genannt, begann. Aus allen vier Besatzungszonen kamen die Aussteller, Familien sahen sich endlich wieder, man hoffte auf eine gesamtdeutsche Zukunft - vergeblich. Die DDR wurde gegründet, die Mauer hochgezogen. Erst mit der neuen Ostpolitik der Siebzigerjahre lockerte sich das Verhältnis zum Westen, und Leipzig wurde wirklich zum "Schaufenster zur Welt", wie der offizielle Slogan versprach. Hier demonstrierte die DDR wie nirgends sonst ihre Wirtschaftsmacht und Weltoffenheit - oder das, was sie dafür hielt.
"Ideen muss man haben", sagte der Staats- und Parteichef Erich Honecker, als man ihm eine Schrankwand vorführte, aus der man ein Bett herausklappen konnte. Das stand dann natürlich nicht in der Zeitung, wie so manches andere auch nicht. Dass die Staatssicherheit ein Riesenaufgebot an Spitzeln nach Leipzig abkommandierte, zum Beispiel. Dass die Bevölkerung der DDR zu Tausenden in die Bücherhalle strömte und das Ausstellungsgut westlicher Verlage im Schutze des dichten Gedrängels stapelweise in Mänteln und Taschen verschwinden ließ. Dass einmal sogar ein Zollkommissar, Mitglied der offiziellen Zensurbehörde, dabei erwischt wurde, wie er am Rowohltstand das zweibändige "Lexikon der Erotik" klaute.
Klassenfeinde, Sex und Socken
Überhaupt, die Erotik. Die stand während der Messe hoch im Kurs, besonders bei bundesdeutschen Geschäftsreisenden, die dank des Eisernen Vorhangs nicht befürchten mussten, von ihren Gespielinnen bis vor die heimische Haustür verfolgt zu werden. Stasi-Chef Erich Mielke schickte ganze Heerscharen attraktiver Prostituierter nach Leipzig, ließ Hotelzimmer verwanzen und mit versteckten Kameras ausstatten. Im Vergleich zum Aufwand war das Ergebnis der Recherche allerdings recht dürftig: Der Klassenfeind, das sieht man auf den heimlich gedrehten Filmchen, lässt Rotkäppchen-Sektkorken knallen, behält beim Sex die Socken an, denkt dabei aber nur selten laut über Geschäftliches nach. Trotzdem machten die "inoffiziellen Mitarbeiterinnen im Einsatz", wie die Prostituierten im Stasi-Jargon hießen, auf der Messe das Geschäft ihres Lebens und konnten sich nachher sogar einen "Wartburg" leisten.
Doch fanden private Kontakte zwischen Ost und West nicht nur auf horizontaler Ebene statt. Dank der Reiseerleichterungen bot die Messe vielen Familien die Möglichkeit, sich zu begegnen. Zahlreiche Bürgerrechtler und Oppositionelle strömten nach Leipzig, weil sie wussten, dass die Staatssicherheit sich unter den Augen der Weltöffentlichkeit Zügel anlegen musste. Auch der Drehorgel-Rolf, ein Leipziger Original, der mit seinem Leierkasten auf dem Leipziger Marktplatz für Unterhaltung sorgte, nutzte die Gelegenheit für subversive Witzeleien: Der Trabant, das legendäre DDR-Auto, hat bei einem Windkanaltest den zweiten Platz belegt. Und der erste? Ging an eine Schrankwand.