Schon 1905 gelang die erste Verpflanzung einer Augenhornhaut - Hoffnung für viele Menschen, nicht erblinden zu müssen. Doch woher die nötigen Hornhäute nehmen? Am 9. Mai 1944 wurde in New York die erste Augenbank eröffnet.
Die Mauer zwischen Licht und Dunkel ist schmal: einen halben Millimeter. So dick ist die Hornhaut unseres Auges. Das Häutchen, das vor der Pupille sitzt, glasklar, wenn alles in Ordnung ist. Doch manchmal wird sie trüb. Und die Welt vor dem Auge verschwindet im Nichts.
Hingerichtete mit klarem Blick
Dass das schwere Schicksal der Blindheit an einem so dünnen Häutchen hängen soll, damit wollten sich Augenärzte schon seit Jahrhunderten nicht abfinden. Immer wieder probierten sie, ob es nicht möglich wäre, die trübe Hornhaut gegen eine ungetrübte einzutauschen. 1905 gelang es einem Arzt zum ersten Mal, einem Menschen die Hornhaut eines anderen zu verpflanzen. Damit war bewiesen, dass es möglich ist. Doch nur selten war im richtigen Moment ein Spender zur Hand. Immerhin hat die Augenhornhaut gegenüber anderen Organen einen entscheidenden Vorteil: Sie ist nicht an die Blutversorgung angeschlossen; und so sind Abstoßungsreaktionen aufgrund unterschiedlicher Blutgruppen ausgeschlossen. Außerdem lässt sich das Gewebe bis zu 72 Stunden auch nach dem Tod des Spenders konservieren.
Richard Townley Paton, ein junger Augenarzt in New York, hatte die Vision, die Hornhauttransplantation zu einer leicht verfügbaren Heilungsmethode zu machen. Er hatte eine Quelle aufgetan, wo er an Hornhäute kommen konnte: von Hingerichteten. In den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts gab es in New York noch die Todesstrafe, und so war Paton ein häufig gesehener Gast im Gefängnis Sing Sing, von wo er das kostbare Gut in die Manhattaner Augen-, Ohren- und Hals-Klinik brachte.
Dennoch war er damit immer noch stark vom Zufall abhängig. Und so kam ihm eines Tages die Idee: Was er brauchte, war eine systematische Augenbank, in der Hornhäute gesammelt und kategorisiert werden könnten, so dass man sie leichter den passenden Empfängern zuweisen könnte. Wie wäre es, dachte Paton, wenn Menschen zu Lebzeiten entscheiden würden, nach ihrem Tod ihre Hornhaut zu spenden?
Heute häufigste Gewebetransplantation
Die Idee war genial; doch eine Idee braucht zur Entfaltung nicht nur einen, der sie umsetzt, sondern auch jemanden, der sie verbreitet, vermarktet, bewirbt. Paton hatte das Glück, im rechten Moment so jemanden zur Hand zu haben: eine Frau. Aida Breckinridge hatte Kontakte zu einflussreichen Größen der Gesellschaft, zu Politikern und Geldgebern. Sie verschaffte Patons Idee Mittel und Gehör. Die Möbel ihres kleinen Büros und ihre Sekretärin bezahlte sie aus eigener Tasche, damit jeder Cent dem Projekt zugutekam.
So wurde mit vereinten Kräften am 9. Mai 1944 in New York die erste Augenbank eröffnet, die Eye-Bank for Sight Restoration. Seither wurde mit ihrer Hilfe 44.000 Menschen das Augenlicht wiedergegeben. Weitere Gründungen folgten, ein Netz von Augenbanken entstand. Dank mikrochirurgischer Techniken ist die Verpflanzung der Hornhaut heute die häufigste Gewebetransplantation.