Carl Gustav Jung war fasziniert von der Psychoanalyse des damals hoch umstrittenen Sigmund Freud. Am 30. Mai 1907 kündigte er ein eigenes Institut an - der Auftakt zu einem berühmten Gelehrtenstreit.
Seine Kommilitonen waren schockiert, als C. G. Jung verlauten ließ, sich künftig der Psychiatrie zuzuwenden. War dieser Bereich der Medizin doch der am wenigsten geachtete. Doch sein Enthusiasmus, seine Ernsthaftigkeit und sein Einfühlungsvermögen im Umgang mit Geisteskranken, denen man bislang kaum Psychotherapie zugestanden hatte, beeindruckte nicht nur Eugen Bleuler, Jungs Mentor und Chef im Züricher Nervenkrankenhaus "Burghölzli", sondern bald auch Sigmund Freud. Letzterem war Jung durch seine Schrift "Diagnostische Assoziationsstudien" aufgefallen, mit der er die Verdrängungstheorie des Begründers der Psychoanalyse bestätigte.
Freundschaft mit Tücken
Freuds begeistertes Echo ermutigte den 32-Jährigen, zum "hochverehrten Professor" nach Wien zu reisen. 13 Stunden am Stück sollen die beiden bei ihrer ersten Begegnung in der Berggasse 19 miteinander geredet haben. Der Beginn einer beeindruckenden - die Seelenheilkunde bereichernden - Freundschaft ... die allerdings ihre Tücken hatte. Denn sich zu Freud und seiner Lehre zu bekennen, konnte einer wissenschaftlichen Karriere durchaus abträglich sein. Galt Freud doch damals in den einschlägigen Kreisen als "persona non grata".
Das irritierte Jung keineswegs. Er hatte in Freud gefunden, was er gesucht hatte: einen "Vater", der ihm - im Gegensatz zum leiblichen Erzeuger - gesichertes Wissen vermitteln würde. Und Freud, obwohl erst 51 Jahre alt, schaute sich bereits ernsthaft nach einem kongenialen Nachfolger um, da er in jenen Tagen von einer fast wahnhaften Furcht getrieben war, bald das Zeitliche segnen zu müssen. Zudem war Jung - im Gegensatz zu Freud und anderen Vertretern der Psychoanalyse - kein Jude, sondern Christ und somit sicher vor antisemitischen Anfeindungen. Und - er hatte sich als Psychiater bereits einen Namen gemacht und war damit in Freuds Augen der geeignete Kandidat , die Fackel der Psychoanalyse weiterzutragen.
Hang zum Mystifizieren
Deshalb bot der Meister dem 19 Jahre jüngeren Schüler nicht nur die Freundschaft, sondern zugleich auch die Rolle des "Kronprinzen" an. Und der ansonsten recht eigenständige, ja exzentrische junge Nervenarzt war zunächst bereit mitzuspielen.
Voller Elan machte sich Jung an die Umsetzung des Freud'schen Psychotherapiemodells. Am 30. Mai 1907 schrieb er nach Wien, dass er sich von seinen alltäglichen klinischen Pflichten zurückziehen und sich so voll und ganz der tiefenpsychologischen Arbeit widmen wolle. Zudem habe Bleuler seinem Wunsch zugestimmt, am "Burghölzli" ein eigenes Institut zu gründen.