Bert Brechts episches Theater hat eine Menge vieldeutiger Figuren auf die Bühne gebracht. Zum Beispiel den Gutsbesitzer Puntila. Am 5. Juni 1948 hatte "Der Herr Puntila und sein Knecht Matti" Premiere.
Bert Brecht - für Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki ist er "der größte Dramatiker des 20.Jahrhunderts". Er selbst nannte sich schlichtweg "Stückeschreiber" und trumpfte - keinesfalls an mangelndem Selbstbewusstsein leidend - bereits als 18-Jähriger damit auf, besser und wilder schreiben zu können als Hebbel und Wedekind. Sein selbst entworfenes äußeres Erscheinungsbild entsprach dem inneren Anspruch, Proletarier, Provokateur und - zumindest gemäßigter - Anarchist zu sein: die der Unterwelt entliehene "ewige" Mütze, schäbige Lederjacke und Cordhosen ... die Armeleute-Nickelbrille allerdings aus Titan, die grauen Arbeiteranzüge, maßgeschneidert und aus Seide. Dazu spindeldürr, unrasiert, schmallippig, mit schwarzen Knopfaugen. Schwäbischer Dialekt!
Bühne als Experimentierfeld
Brecht ist eine magnetisierende Erscheinung. Das befanden auch die Damen. Meist standen ihm mehrere gleichzeitig in unverbrüchlicher Liebe zur Verfügung - als Geliebte, Mutter seiner Kinder, Übersetzerin, Organisatorin, Sekretärin, Ideenlieferantin, Mitautorin. Brecht bevorzugte die Arbeit im Kollektiv. Verstand es aber auch, nach Endlosdebatten, die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. "Mein Name ist eine Marke, und wer diese Marke benutzt, muss dafür zahlen." Ein einträglicher Tausch war etwa das Gedicht "Singende Steyrwagen" gegen ein reales Cabriolet. Seine Werke sollten "Gebrauchswert" haben und einen annehmbaren Lebensstil ermöglichen.
Das Mitte der 20er-Jahre begonnene intensive Studium der Schriften von Karl Marx hatte Folgen. Brecht wurde Kommunist und entwarf einen völlig neuen Theaterstil, das "epische Theater". Das Publikum sollte nicht mehr länger unterhalten, eingelullt oder zum Mitfühlen animiert werden, sondern zum Nachdenken und Hinterfragen. Das bewerkstelligte Brecht durch ein desillusioniertes verfremdetes Spiel, ein karges Bühnenbild, Spruchbänder, die auf den Knackpunkt der jeweiligen Szene hinwiesen und Songs seiner kongenialen musikalischen Mitstreiter Kurt Weill und Hanns Eisler.
"Ich wollte auf das Theater den Satz anwenden, dass es nicht nur darauf ankommt, die Welt zu interpretieren, sondern sie zu verändern." Um dieses Ziel zu erreichen, nutzte Brecht die Bühne als Experimentierfeld, auf dem zu beobachten war, wie sich durch eine veränderte Bedingung auch das Verhalten der Bühnenfigur änderte.
Betrunkener Menschenfreund
In "Herr Puntila und sein Knecht Matti" bewirkt das der Alkohol. Der nüchterne Puntila ist unausstehlich, geizig und ein Ausbeuter, während der betrunkene es genießt, den jovialen Menschenfreund zu geben. Puntila liefert den Beweis dafür, dass der Mensch mindestens zwei Seelen in seiner Brust hat. Der Knecht Matti bleibt aber beiden Puntilas ausgeliefert, dem schlechten wie dem guten. Am Ende zieht er die Konsequenz und geht. Brecht hat den "Herrn Puntila" als Volksstück bezeichnet. Am 5.Juni 1948 wurde es im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt.