Haarscharf um Mitternacht, in der letzten Sekunde des Monats August 1663 - wenn ein Kind in so einem Moment geboren wird, sind die Chronisten genau. Guillaume Amontons, der in diesem Augenblick in Paris das Dunkel der Nacht erblickte, war es auch. Er hat einige der präzisesten Messinstrumente seiner Epoche ersonnen: für Luftdruck und Temperatur, ja sogar einen Zeitmesser für Schiffe auf dem Meer.
Mathematik der Reibung
Dabei war er alles andere als ein Glückskind. In seiner Jugend wurde er nach einer Krankheit plötzlich taub. Doch Amontons klagte nicht und war’s zufrieden - so will es der Nachruf in den Annalen der französischen Akademie der Wissenschaften. Auch wenn das Legende sein mag: Ungestört vom Pariser Lärm konnte sich der taube Guillaume aufs Wesentliche konzentrieren. Und das war für ihn die Natur mit ihren Gesetzen. Damals ein Topthema, wie wir heute sagen würden: Als Amontons zwei Jahre alt war, hatte Isaac Newton erkannt, dass ein Apfel nicht zur Erde fällt, weil Gott das so will, sondern weil die Erde ihn anzieht. Doch es gab noch viele offene Fragen, zum Beispiel: Wie weit rollt eine Boulekugel? Das hängt von der Reibung ab, und die kann man genau ausrechnen, erklärte Amontons den staunenden Franzosen. Die mathematischen Formeln für die Reibung sind nach ihm benannt.
Auch die Natur der Gase hatte es Guillaume Amontons angetan. Um ihre Ausdehnung in der Wärme ganz genau zu studieren, ersann der begnadete Experimentator eine Vorrichtung, die wir heute als Quecksilberthermometer kennen. Wenn es um ein Grad kälter wird - das konnte Amontons nun als erster genau messen - dann wird die Luftsäule im Röhrchen ungefähr um ein Zweihundertvierzigstel kleiner. Und das bedeutet: Bei 240 Grad unter null ist Schluss. Kälter kann es nicht werden, verkündete Amontons. Die Messung war ziemlich gut, wie wir heute wissen: Der absolute Nullpunkt liegt bei etwa minus 273 Grad Celsius.
Vergebliche Suche nach dem Wärmestoff
Was passiert da aber mit der Luft, wenn es immer kälter wird? Die Naturforscher waren damals sicher: Sie gibt einen Wärmestoff ab. Eine Kalorie, wie man heute noch sagt. Nur konnte niemand so einen Stoff finden. Kalte Luft ist nicht leichter als heiße. Wenn Wärme aber nichts Wägbares ist - dann hat sie vielleicht etwas mit der Bewegung der Teilchen zu tun, spekulierte Guillaume Amontons. Je schneller die umhersausen, desto heißer wird es. Den absoluten Nullpunkt stellte sich Amontons folglich als "Zustand vollkommener Ruhe" vor. Eine mehr als gewagte Hypothese, die nirgends Anklang fand. Bewiesen wurde sie erst 130 Jahre später.
Seinen Zeitgenossen waren Quecksilberthermometer und Spekulationen über einen absoluten Nullpunkt herzlich egal. Im Nachruf für den bereits 42-jährig Verstorbenen ist beides nicht einmal erwähnt, und selbst die Reibungsgesetze waren dem Autor nicht mehr als einen Nebensatz Wert. Seinen Ruhm hatte sich das Universalgenie nämlich durch eine ganz andere Erfindung erworben: durch eine Telegrafenstrecke von Meudon bis Paris, 12 Kilometer weit. Spiegel und eine Art Morsealphabet machten es möglich, eine Nachricht in wenigen Minuten zu übermitteln. Das war der wahre Fortschritt, Anfang des 18. Jahrhunderts.