Monsieur André-Jacques Garnerin fehlten sogar die wichtigsten Kenntnisse über Aerodynamik. Trotzdem überlebte er am 22. Oktober 1797den ersten Versuch eines Fallschirmsprungs aus einem Heißluftballon.
Die tragischste Figur in der Geschichte der bemannten Luftfahrt ist vermutlich Albrecht Ludwig Berblinger, der Schneider von Ulm. Er hatte so gut wie alles richtig gemacht! Hatte aus Holz, Fischbein und Seide ein funktionstüchtiges Fluggerät gebaut, hatte es ausprobiert, war geflogen - und zwar mehrfach! Allerdings immer nur den Ulmer Michelsberg hinab. Ausgerechnet da aber, wo er vor den Augen einer riesigen Zuschauermenge über die Donau fliegen wollte, funktionierte es nicht. Berblinger wusste noch nichts von Thermik, ahnte nicht, dass über einer relativ kühlen Wasserfläche keine tragenden Aufwinde entstehen - und stürzte ab. Er wurde ausgelacht, verhöhnt und verspottet.
Regenschirm und Zuversicht
Monsieur André-Jacques Garnerin hatte mehr Glück. Am 22. Oktober 1797 sprang er als erster Mensch mit einem Fallschirm aus einem Ballon ab. Das heißt, nein ... abspringen ist nicht ganz das richtige Wort. Der Fallschirm - er sah eher aus wie ein großer Regenschirm mit einem Korb am unteren Ende - hing an dem Ballon, Garnerin stand im Korb und kappte schließlich die Verbindung zwischen den beiden Geräten.
Vermutlich hoffte der Pionier auf ein sanftes Herabschweben und eine weiche Landung - gewissermaßen zu Füßen der zahlreichen im Parc Monceau zu Paris versammelten Damen und Herren. Aber er schwebte nicht sanft herab. Vielmehr pendelte der Korb gefährlich hin und her, schlug schließlich hart auf den Boden und wurde samt seinem Insassen noch ein Stück weit über die Erde geschleift. Garnerin blieb unverletzt. Man bewunderte ihn, man bejubelte ihn, man brachte ihn im Triumph in die Stadt.
André-Jacques Garnerin hätte auch Pech haben können. Bei seinem Fallschirm fehlte oben ein Loch zum Entweichen der verdichteten Luft. Die strömte stattdessen über den Rand des Schirms; das verursachte die erwähnten Pendelbewegungen und hätte ohne weiteres zum Kippen des Schirms können führen.
Wäre der Konstrukteur in diesem Fall mit dem Leben davongekommen, hätte er womöglich das gleiche Schicksal erlitten wie der Schneider von Ulm.
Spott und Triumph
Berblinger und Garnerin waren kühne, erfindungsreiche Männer, die zu ihrer Zeit in ganz neue Bezirke vorstießen. Unter anderem bereiteten sie den Weg für jene, die heute mit Hängegleitern durch die Lüfte segeln oder im Internet einen so genannten Ballon jump buchen. Dieser Fallschirmabsprung aus einem Heißluftballon ist für lächerliche 459 Euro zu haben, und wer ihn sich antut, der ersäuft schier in Adrenalin und Endorphinen. Jedenfalls stellen die Werbesprüche das in Aussicht. Und von den Glücksgefühlen, die sich unmittelbar vor dem Absprung einstellen, behauptet der Veranstalter, dass sie das Blut nur so rauschen und das Herz schlagen lassen wie einen Presslufthammer. Und dann erst, ha!, wenn man der Erde entgegenstürzt ...
Nun ja. Kühn mögen die Kunden dieses Veranstalters wohl sein. Aber sie sind weder erfindungsreich noch bereiten sie irgendjemandem den Weg. Mit ziemlicher Sicherheit kommen sie nach ihrem Sprung wohlbehalten unten an. Sie brauchen nicht zu fürchten, ausgelacht zu werden wie der Schneider von Ulm - und dürfen sich dennoch fühlen wie André-Jacques Garnerin bei seinem großen Triumph.