Viele Wiener gehen gern auf den Zentralfriedhof - und freuen sich über das Gefühl der eigenen Todesgewissheit: Sterben müssen wir alle, nur heut noch nicht! Am 30. Oktober 1874 wurde der Wiener Zentralfriedhof eingeweiht.
Wer einmal an Allerheiligen über den Wiener Zentralfriedhof zu schlendern versuchte, aufgehalten im Stau der zehntausend Gleichgesinnten, die alle die stündliche Warnung des ORF-Landesstudios Wien - Hinweise für den Friedhofsverkehr - in den Wind schlugen, um sich gegenseitig auf die Füße zu treten, der weiß, welch inniges Verhältnis der Wiener zum Tod und zur schönen Leich´ hat. Das musste schon der fortschrittliche Kaiser Joseph II. erkennen, der für die Armenbegräbnisse den wieder verwendbaren sogenannten "Josefssarg" einführte, der den Toten durch einen aufklappbaren Boden in die Tiefe des Grabes entließ. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich ob der Pietätlosigkeit, und die technische Neuerung verschwand im Arsenal der ungeliebten Erfindungen.
Platz bis zum Jahr 4000
Sehr viel erfolgreicher war jene andere Innovation des Bestattungswesens, die am 30. Oktober 1874 eingeweiht wurde und sich seitdem höchster Beliebtheit erfreut: Der Wiener Zentralfriedhof. Zweieinhalb Quadratkilometer groß, berechnet für die Hauptstadt des habsburgischen Vielvölkerstaats, wird er, so haben die Statistiker errechnet, bis zum Jahr 4000 ausreichend Platz bieten. Drei Millionen Menschen sind bis heute auf dem Zentralfriedhof schon begraben worden - da ist das Wort von der "Nekropolis", der Stadt der Toten, nicht zu hoch gegriffen.
180 städtische Beamte werkeln in der Friedhofsverwaltung und 130 Totengräber sorgen dafür, dass jeder Neuzugezogene in die richtige Abteilung kommt, deren Auswahl reicht von syrisch-koptisch bis muslimisch. Es muss keine christliche Konfession sein, wohl aber eine monotheistische: So steht es in den Gründungsstatuten.
Die Touristen kommen natürlich wegen der Berühmtheiten, Brahms, Beethoven und Mozart, wobei das pompöse Mozart-Monument mit der Inschrift "Mozarts letzte Ruhestätte" eine echte Mogelpackung ist, denn Mozarts Gebeine ruhen auf dem St. Marxer Friedhof. Den Touristen stört es nicht, und der Wiener kommt sowieso nicht wegen der berühmten Verstorbenen, sondern wegen des angenehmen Gefühls der eigenen Todesgewissheit: Sterben müssen wir alle, nur heut noch nicht.
A Kranzerl gefällig?
Dafür ist es sehr erhebend, der Bestattung eines schon vorausgegangenen Verblichenen beizuwohnen, besonders, wenn es eine schöne Leich ist. Mit diesem Wort bezeichnet der Wiener den Umstand, dass wir keineswegs im Tode alle gleich sind. Der Standesunterschied wird gewahrt und eine schöne Leich kriegt nur der, der auch im Leben etwas dargestellt hat. Wer dem Burgtheater oder der Staatsoper angehörte, wird mit goldenem Bahrtuch zum Grab gefahren. Wer bloß beim Volkstheater oder der Volksoper im Ensemble gespielt hat, fährt mit unbedecktem Sarg, auch wenn er der bessere Schauspieler war. Nur eins ist für alle gleich: Die Schaufel voll Erde, die Verwandte und Freunde auf den Sarg streuen, ist nicht umsonst. Man bekommt sie vom Chef der "Pompfüneberer" erst dann gereicht, wenn man ihm einen Obolus in die Hand drückt.
Wer allerdings gesehen hat, wie zum Beispiel der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky am Grab seines Vorgängers Bruno Kreisky die Brieftasche zog und einen großen Schein für den zu diesem Anlass in violette Galauniform gekleideten Pompfüneberer herausholte, der weiß, dass auch hier soziale Unterschiede gewahrt werden. Wien bleibt Wien, besonders auf dem Zentralfriedhof. A Kranzerl gefällig, die Dame? A Buketterl für den Herrn? A Kerzerl für das Fräulein? Vergelt´s Gott!