Johanna Schopenhauer hatte sich ein gutes Leben eingerichtet - mit Dichtern, Salons und Hausfreund. Alles hätte so schön sein können, wenn nicht am 5. November 1813 ihr mürrischer Sohn Arthur wieder eingezogen wäre.
Der Philosoph Arthur Schopenhauer ist nicht gerade für Frohsinn und Frauenfreundlichkeit berühmt geworden. Die Wurzeln seiner Schwermut liegen in seiner Kindheit, in der lieblosen Ehe der Eltern. Ein pflichtversessener Vater schwang das Zepter über eine junge, begabte Frau, die auch ihre Mutterschaft eher als Fessel erlebte. Nachdem sich der Vater 1805 umgebracht hatte, machte sich die Mutter energisch auf die Suche nach einem eigenen Leben. Johanna Schopenhauer zog nach Weimar. Eröffnete dort einen Salon, eine Begegnungsstätte für Dichter und Denker. Führte ein Leben ganz nach ihrem Geschmack: verstrickt in geistreiche Geselligkeit, hochgeachtet vor allem von Goethe.
"Überlästig und unerträglich!"
Arthur blieb derweil in Hamburg und schrieb bittere Briefe. Sein Leben als kaufmännischer Lehrling, das ihm der Vater aufgezwungen hatte, gefiel ihm überhaupt nicht. Dass er sich endlich doch losriss und seiner Mutter nach Weimar folgte, um dort Studien nachzuholen, dazu hatte sie ihn ausdrücklich ermutigt. Dankbar war er ihr trotzdem nicht. Die Mutter lebte und ließ es sich wohl sein, während der idealisierte Vater tot war - das nahm er ihr irgendwie übel. Johanna ihrerseits fand den Sohn übel gelaunt und besserwisserisch. "Du bist kein böser Mensch", schrieb sie ihm. "Du bist nicht ohne Geist und Bildung, aber dennoch bist du überlästig und unerträglich ... Alle deine guten Eigenschaften werden durch deine Superklugheit verdunkelt."
Johanna sorgte dafür, dass Arthur in Weimar eine eigene Wohnung nahm. Dann studierte er in Berlin, schrieb seine Doktorarbeit - und stand am 5. November 1813 doch wieder bei der Mutter vor der Tür. Johanna ließ ihn einziehen - und bereute es bitter. Arthur nörgelte ständig an ihrem Hausfreund herum, und Johanna wollte weiterhin so leben, wie es ihr gefiel. "Du scheinst mir zu verachtend gegen die, die nicht so sind wie du und predigst mir zuweilen zu viel", schrieb sie ihm. Ja, sie schrieb, man redete nicht miteinander, sondern kommunizierte über Zettel.
Auch Arthur hatte Grund, sich gekränkt zu fühlen. Seine Doktorarbeit mit dem Titel "Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde" wurde von Johanna mit der Frage quittiert: "Das ist wohl was für Apotheker?"
"Nichts mehr mit dir zu schaffen!"
Johanna hat die Originalität und Tiefe der Gedankenwelt ihres Sohnes nicht erkannt. Sie war mit ihrem eigenen Leben beschäftigt. Wer ihr in die Quere kam, von dem grenzte sie sich ab. Ihren Sohn warf sie nach einigen Monaten aus dem Haus. In ihrem Abschiedsbrief redet sie den gewohnten Klartext. "Dein Misstrauen, dein Tadeln meines Lebens, deine Verachtung gegen mein Geschlecht, dies und noch vieles mehr, das dich mir durchaus bösartig scheinen lässt, dies trennt uns. Ich habe nichts mehr mit dir zu schaffen. Lebe und sei so glücklich als du kannst."
Arthur verließ Weimar wenige Tage später. Sein Glück fand er nicht bei den Frauen, wenigstens nicht auf Dauer, sondern in seiner Gedankenwelt. Seine Mutter hat er nie wiedergesehen.