Thomas Mann lebte schon im Schweizer Exil, als ihn zu Weihnachten 1936 aus Deutschland die kränkende Nachricht erreichte: Die Bonner Universität hatte am 19. Dezember beschlossen, ihm die Ehrendoktorwürde abzuerkennen.
Der Dezember 1936 begann für Thomas Mann wie dieser Monat beginnen sollte - weihnachtlich: Denn die Post brachte Marzipan aus seiner Heimatstadt Lübeck ins Küsnachter Domizil. Ansonsten herrschte wie gewöhnlich "rastlose Tätigkeit" vor: Schreiben, das Tagebuch und die umfangreiche Korrespondenz und nach Fertigstellung des dritten Bandes seiner "Josephs-Tetralogie" ein neues Werk: "Lotte in Weimar". Eine geradezu phantastische Freude, Goethe, den verehrten Seelenverwandten, einmal persönlich auf die Beine zu stellen.
Vier Zeilen zum Weihnachtsfest
Erholung boten dem Dichter erfrischende Spaziergänge, Gespräche und die abendliche musikalische Erbauung - Schubert vor allem. Wagner auch. Die deutsche Kultur, so empfanden es Thomas Manns Gäste, war stets da, wo er lebte. Sei es in Frankreich, der Schweiz oder den USA. Die deutsche Unkultur aber blieb nicht außen vor. Lange hatten die Nazis Deutschlands wohl berühmtesten Dichter geschont. Doch als er sich für Carl von Ossietzky stark gemacht hatte, der dann den Nobelpreis verliehen bekam, häuften sich die Gerüchte, dass er und seine Familie ausgebürgert werden sollten. Einem solchen Willkürakt war der Verfemte zuvorgekommen, weil er das Angebot der Tschechoslowakei ergriffen hatte, die tschechische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Daraufhin wurde ihm die deutsche entzogen. Ein willkommener Anlass für die Anhänger des Naziregimes an der Bonner Universität, dem Dichter die verliehene Ehrendoktorwürde auch abzuerkennen.
Der Beschluss ist am 19.Dezember 1936 gefasst worden: Die knapp vierzeilige Nachricht erreichte den Adressaten pünktlich zum Weihnachtsfest. Das allerdings ließ sich Thomas Mann - zumindest nach außen hin - nicht verderben. Innerlich aber war er zutiefst verletzt. Denn die Bonner Universität war einst durch den inzwischen emeritierten Literaturhistoriker Berthold Litzmann und seine Schüler zur ersten Thomas-Mann-Forschungsstätte avanciert.
Erwachender politischer Instinkt
Nur zwei Tage später begann Thomas Mann ein Antwortschreiben an den Bonner Dekan zu entwerfen, das fortan die Kritik an Thomas Manns unpolitischer Haltung Lügen strafen sollte. In dem Brief begründete er sein Schweigen in Bezug auf die undemokratische Entwicklung Deutschlands unter anderem damit, dass er sich bisher als Repräsentant und nicht als Märtyrer gesehen und es vorgezogen habe, ein wenig höhere Heiterkeit in die Welt zu tragen, statt den Kampf und den Hass zu nähren. Er versäumte es nicht, gerade den Universitäten eine gravierende Mitschuld an der deutschen Misere zu bescheinigen. Und bezichtigte Hitler und seinen Anhängern, den seelischen und physischen Ruin des Landes herbeigeführt zu haben und durch massive Propaganda und militärische Aufrüstung auf einen verheerenden Krieg zuzusteuern.
Voller Ironie schlug er dem Dekan vor, seinen Brief am "Schwarzen Brett" der Universität anzuschlagen. Natürlich verschwand der in der Versenkung. Doch es war bereits eine im Freundes-und Familienkreis beschlossene Sache, ihn vervielfältigen zu lassen. Die erste Auflage von 10.000 Stück war im Nu vergriffen. Aber unzählige hand- oder maschinengeschriebene Kopien konnten auch nach Deutschland geschmuggelt werden.
In ihrer ersten Sitzung nach Kriegsende beschloss das Bonner Universitätsgremium die Rückgängigmachung der blamablen akademische "Exkommunikation" Thomas Manns. Der stimmte einer Wiederverleihung des Ehrentitels nur dann zu, wenn es sich dabei um den einhelligen Wunsch von Fakultät, Universität und der Mehrheit der Studenten handele. Die wiederholte Einladung zu einer glanzvollen Feier anlässlich dieses Ereignisses hielt der Dichter allerdings in hoffnungsvoller Schwebe.