William Webb Ellis kennt jeder, der Rugby mag. Denn: William Webb Ellis soll den Sport erfunden haben, aus nackter Not, beim Fußball. Wahr? Vielleicht. Sicher: am 24. November 1806 wurde William Webb Ellis geboren.
Die Welt lässt sich in viele Raster einteilen. Politische zum Beispiel -
wie Demokratien und Diktaturen. Oder religiöse - wie Christentum, Islam, Buddhismus und so weiter. Man könnte die Weltkarte auch entlang der beliebtesten Sportarten zeichnen. Was auf den ersten Blick ziemlich langweilig erscheint, weil ja in den meisten Ländern doch Fußball die Nummer eins ist. Interessant wären bei diesem Raster vor allem die Ausnahmen. Zum Beispiel braucht man nur in ein Pub in der St Mary Street im walisischen Cardiff zu gehen. Ein unvergessliches Erlebnis.
Leuchtende Augen wie Sternwerfer
Die Waliser sind sehr liebenswerte Menschen. Man kommt schnell ins Gespräch. Und Themen finden sich immer. Cardiffs örtliche Brauerei zum Beispiel bietet eine Palette süffiger Biere; was am Tresen stets diskussionswürdigen Stoff abwirft.
Und dann ist gleich um die Ecke noch das Millennium Stadium - eine moderne Sportarena - für fast 75.000 Menschen - mitten in der Stadt. Schon allein deshalb ist man versucht, in der Kneipe ein Gespräch über Fußball anzufangen - klar, wird dort auch gespielt, ist ja Großbritannien, von wegen Mutterland des Fußballs und so weiter. Aber schnell wird man merken: Das Gegenüber zieht nicht recht. Fußball scheint die meisten Waliser nicht wirklich zu interessieren.
Der Small Talk verläuft freundlich, aber ein wenig unter Betriebstemperatur.
Bis das Stichwort fällt - Rugby! Plötzlich leuchten walisische Augen wie Sternwerfer in der Weihnachtszeit, und es wird doch noch ein langer Abend.
Man erfährt zum Beispiel, dass der Rugby World Cup alle vier Jahre stattfindet, und dass 1999 die Finalspiele in Cardiff ausgetragen wurden. Allerdings ohne das eigene Team. Wales konnte diesen wichtigsten internationalen Wettkampf nämlich noch nie gewinnen. Nur einmal, da sind sie dritter geworden, die Jungs!
1987, ganz knapp gegen die Australier, 22 zu 21.
"Do you remember?" - "Freilich, freilich."
Jetzt einfach nur nicken, nicht viel nachfragen. Und: "Cheers!"
William Webb Ellis‘ feine Missachtung der Fußballregeln
In solchen Augenblicken ist es förmlich zu greifen: Rugby ist in Wales eine Art Religion. Kein Wunder, schließlich soll es ja ein Theologe erfunden haben.
William Webb Ellis, geboren am 24. November 1806, war ein anglikanischer Pfarrer, der in der Geschichte des Rugbysports eine nahezu mythische Bedeutung hat. Webb Ellis soll als Schüler in der englischen Stadt Rugby 1823 bei einem Fußballspiel den Ball in die Hände genommen haben, um damit davon zu rennen und ein Tor zu erzielen.
Auf diese Weise, so will es die Legende, habe er die Spaltung von Rugby und Fußball verursacht. Wie gesagt, eine Legende, deren Wahrheitsgehalt oft in Zweifel gezogen wurde. Aber bis heute wird über den mythischen Ursprung des Spiels diskutiert und geforscht. Und trotz aller Zweifel hängt am Schulgelände der englischen Stadt Rugby eine Gedenktafel, die an jene "feine Missachtung" der Fußballregeln erinnert, durch die der Rugby-Sport ins Dasein gerufen und William Webb-Ellis berühmt wurde.
Sein Name lebt übrigens weiter im Webb Ellis Cup, jener Trophäe, die alle vier Jahre den Siegern im Rugby World Cup überreicht wird. Was gäben die Freunde in Cardiff dafür, wenn dieser Cup einmal nach Wales ginge! Selbst der Umstand, dass Webb-Ellis Engländer war, wäre in diesem Augenblick vergessen. Aber nur kurz. Dann würde man in den Pubs von Cardiff wieder lautstark betonen, dass in Wales ja schon im Mittelalter eine Art Rugby gespielt wurde. Und dass man auch einen eigenen Rugby-Pfarrer habe. Reverend Rowland Williams - er hat das Spiel im Jahr 1850 von Cambridge nach Wales gebracht, hieße es dann.
Aber das ist eine andere Geschichte.