Viele Erfolgsgeschichten wollen da beginnen, enden aber auch gleich dort: Im Studio eines dubiosen Fotografen. Hüllenlos ist eben nicht jedermanns Sache. Doch wer kann, der kann später vielleicht doch oder gerade deshalb durchaus - angezogen - Karriere machen.
Oktober 1948, Hollywood, Sunset Boulevard. Bremsen quietschen, zu spät, es kracht. Auffahrunfall. Der Unfallverursacher stellt den Motor ab und steigt aus dem Auto. Es ist - eine Unfallverursacherin. Und was für eine. Rote Stöckelschuhe, rot-weiß gepunktetes Kleid, unglaubliche Kurven, goldblond leuchtende Locken. Die Leute recken die Hälse, johlen und hupen. Nicht, weil sie Marilyn Monroe erkennen, die ist damals gerade mal 22 und noch nicht mal ein Geheimtipp. Außer ein paar kurzen Auftritten in belanglosen Filmen hat sie nichts vorzuweisen. Aber sie ist schön, unglaublich schön, und wo sie geht und steht, sorgt sie für Aufsehen. Ein Passant gibt ihr seine Visitenkarte. Es ist Tom Kelley, ein Fotograf, der für Werbeagenturen arbeitet. Es dauert nicht lang, und Marilyn prangt im Bikini von allen Plakatwänden und wirbt für Bier.
Hüllenlos und makellos
Und am 27. Mai 1949 steht sie schon wieder in Kelleys Studio, diesmal hat sie gar nichts an. Auf dem Boden liegt roter Samt, hingegossen in weichen Wellen. Marilyn räkelt sich darauf, während der Fotograf auf eine Leiter klettert und seinen Fotoapparat auf die junge Frau richtet. Die genießt es, sich zu zeigen. Vielleicht weil ihr die Kamera die Bewunderung schenkt, die Aufmerksamkeit, die Zuwendung, die sie in ihrer schwierigen Kindheit entbehren musste?
Sehr von oben jedenfalls schaut diese Kamera weniger auf Marilyns Persönlichkeit, sondern auf ihren Körper. Weicher noch als der Faltenwurf des roten Samts wirken die zarten, makellosen Formen, schöner noch als der Stoff schimmert die jugendliche Haut. Marilyn bietet sich der Welt an wie ein Geschenk, wie ein fleischgewordener Männertraum, den man aus seiner samtenen Hülle befreit hat. Und sie wirkt dabei nicht verworfen und gefährlich, sondern unbeschwert und heiter wie das Mädchen von nebenan, aufreizend und beschützenswert zugleich.
Nur das Radio an
Die Fotos wurden kommerziell nach allen Seiten ausgebeutet. Sie kamen in einen Pin-up-Kalender und als Doppelseite in die erste Ausgabe des Playboy, sie schmückten Spielkarten, Schlüsselanhänger, Bettwäsche und T-Shirts. Marilyn bekam 50 Dollar dafür und musste, als ihr später der Durchbruch beim Film gelang, erst mal einen drohenden Skandal abwenden. Ja, das Mädchen in dem allseits bekannten Kalender, das sei sie, gab sie in einem Interview zu.
Nein, angehabt habe sie nichts, "nothing on but the radio!" - an war nur das Radio. Arbeitslos sei sie gewesen und hungrig dazu. Das war übertrieben, aber es erreichte die Herzen der Menschen. Deswegen wurde sie ja zum Mythos, weil sie das konnte, Menschen berühren. Unabhängig vom Grad der Angezogenheit. Manchmal eben mit nothing on but the radio.