Bei den Passionsspielen in Oberammergau kommen nicht nur die Darsteller und der Regisseur aus dem Ort, auch der Komponist der Musik war ein Oberammergauer. Rochus Dedler wurde am 15. Januar 1779 geboren - und bewies Geduld.
Es ist Nacht, und das Schulhaus brennt! Flammen lodern aus dem Dachstuhl, die Glasfenster zerspringen in der Hitze - und schließlich ist von der ehrwürdigen Stätte der Bildung nichts mehr übrig als ein rauchender Trümmerhaufen, aus dem verkohlte Balken ragen.
Partitur in den Flammen
Für die Schüler ein Freudenszenario - seien Sie ehrlich, auch Ihnen wäre es früher nicht anders gegangen: die Aussicht auf schulfreie Tage hebt die Stimmung enorm. Schmerzlicher dagegen trifft das Unglück Bürgermeister, Stadträte und Lehrer. Schon während gelöscht wird, fangen die einen an, nachzurechnen, wie teuer wohl der Schaden kommt und ob die Feuerversicherung hoch genug ist, während die anderen darüber nachgrübeln, ob sie jetzt noch eine Chance haben, im Stoff durchzukommen, wo sie doch ohnehin im Lehrplan schon so hinterherhinken. Selten jedoch wird einer so verzweifelt sein wie es einst der Dorfschulmeister Rochus Dedler war.
Als nämlich im Jahre 1817 die Stätte seines Wirkens abbrannte, das Schulhaus von Oberammergau, da war nicht nur sein gesamtes Hab und Gut verloren, sondern auch die Partitur, an der er jahrelang gearbeitet hatte: die Musik für die Oberammergauer Passionsspiele. Damals, als die Gemeinde einen Komponisten gesucht hatte, war schnell die Wahl auf ihn gefallen. War er doch - Pluspunkt Nummer eins - ein Einheimischer, geboren am 15. Januar 1779 als siebtes Kind des ortsansässigen Bierwirtes, galt er doch - zweitens - als bester Komponist im ganzen Umland und war - drittens - ein frommer und zuverlässiger Mann.
Der dann auch nicht aufmuckte, als er - einige Jahre vor dem Brand - eine neue Fassung seiner ursprünglichen Musik hatte schreiben müssen, nachdem im Text verschiedene Passagen verändert worden waren.
Nach einem Gebet im Kreise seiner Familie habe er, so die Überlieferung, die ihm übertragene Aufgabe begonnen. Mit dem himmlischen Segen allerdings war es dann doch nicht so weit her - oder haben Engelschöre fachlichen Einspruch erhoben? Ein einziges Mal nur wurde diese Fassung der Passionsmusik gespielt, bevor die Noten ein Raub der Flammen wurden.
Passionsspiele zum Dritten
Und doch basiert bis heute die Musik der Oberammergauer Passionsspiele auf Dedlers Komposition: er hat sich seinerzeit nach dem Brand ein drittes Mal hingesetzt. Hat vielleicht diesmal auch noch wohlweislich den Heiligen Florian mit einbezogen in sein Gebet, und dann noch mal komponiert, arrangiert und kopiert, unverdrossen, voll Glauben und Lebensmut, so wie ihn einer seiner Schüler später beschrieben hat. "Rochus Dedler war ein edler und religiöser Mensch. Jedes Kind hat ihn geachtet, geliebt und gefürchtet. In der Gesellschaft war er auch recht heiter, hat schrecklich lachen können. Seine Frau aber hat leider den Wein gern gehabt, wodurch dem Dedler viel Verdruss geworden ist.
Er hatte sechs Kinder und musste kümmerlich leben. Er hat mit großer Leichtigkeit komponiert. In der Nacht ist er oft aufgestanden und hat notiert, wenn er einen guten Gedanken hatte. Er hat die Musik bei uns ins Leben gebracht, früher ist nichts gewest. So ein Lehrer kommt nicht mehr."