Mein Gesicht war feucht von Tränen, als ich wieder zu mir kam. Wie spät war es? Ich wusste es nicht. Hatte ich viel Blut verloren? Ich fühlte mich schrecklich einsam und verlassen. Ich wollte mich gerade wieder zusammenrollen und mich meinem Schicksal hingeben, als ein lautes Geräusch die Stille zerriss. Was war das? Ein Donnern? War es eine Naturerscheinung? Eine Gasexplosion oder ein Einsturz? Ich lauschte. Im Tunnel war es wieder totenstill. Ich presste mein Ohr an die Wand und glaubte, unverständliche Worte zu hören. Das war mit Sicherheit eine Sinnestäuschung! Ich lauschte noch einmal. Nein, ich konnte tatsächlich Stimmengemurmel hören. Ich strengte mich an, aber ich konnte kein Wort verstehen. Ich wusste nur sicher, dass dort jemand sprach.
Ich schleppte mich ein Stück weiter und lauschte dann wieder. Diesmal konnte ich ganz deutlich das Wort "forloräd" verstehen. Ich rief aus Leibeskräften: "Hilfe! Hilfe!" Ich wartete, aber ich bekam keine Antwort. Warum konnten sie mich nicht hören, denn ich war ganz sicher, dass ich Hans und meinen Onkel hören konnte. Wer sonst sollte sich dreißig Meilen unter der Erdoberfläche unterhalten?
Ich ließ mein Ohr an der Wand entlang gleiten und entdeckte einen mathematischen Punkt, von dem aus ihre Stimmen am Besten zu verstehen waren. Wieder hörte ich das Wort "forloräd" und dann das Donnern, das mich aus meiner Lethargie gerissen hatte. Wieder presste ich das Ohr an die Wand, bis ich bemerkte, dass es unmöglich war, durch diese Granitwand irgendetwas zu hören. Die Geräusche mussten aus dem Tunnel kommen. Es konnte sich nur um einen besonderen akustischen Effekt handeln. Ich stand still und lauschte. Jemand rief meinen Namen. Es war mein Onkel. Fieberhaft dachte ich nach, dann verstand ich: Damit man mich hörte, musste ich ganz genau an der Wand entlang sprechen, die meine Stimme weiterleiten würde wie ein elektrischer Draht.
Ich beeilte mich, denn ich wollte nicht, dass Hans und mein Onkel sich von der Stelle entfernten, an der sie mich hören konnten. Ich presste also meinen Mund an die Wand und sagte so deutlich wie möglich: "Onkel Lidenbrock!" Dann wartete ich. Die Sekunden vergingen und ich hörte nichts. Dann - endlich - vernahm ich folgende Worte:
"Axel? Axel, wo bist du?"
"Ich bin verloren im tiefsten Dunkel."
"Was ist mit deiner Lampe?"
"Sie ist ausgegangen."
"Wo ist der Hans-Bach?"
"Verschwunden."
"Axel, verliere den Mut nicht! Wir haben überall nach dir gesucht. Wir dachten, du bist noch auf dem Weg des Hans-Baches und sind bergab gegangen. Dann haben wir Gewehrschüsse abgegeben. Wie gern würde ich dich in den Arm nehmen, aber das wir uns hören, ist auch schon ein großer Segen. Wir müssen feststellen, wie weit wir von dir entfernt sind. Ich schaue auf meinen Chronometer und sage deinen Namen. Wenn du ihn hörst, sagst du ihn sofort wieder. Ich zähle die Sekunden, bis ich deine Antwort hören kann."
So geschah es. Ich presste mein Ohr an die Wand und sobald ich das Wort "Axel" hörte, sagte ich es auch sofort und wartete.
"Vierzig Sekunden.", sagte mein Onkel schließlich. "Der Ton braucht zwanzig Sekunden von mir zu dir. Da er tausendundzwanzig Fuß in der Sekunde zurücklegt, macht das zwanzigtausendvierhundert Fuß anderthalb Meilen." Mir stockte der Atem. Anderthalb Meilen! "Onkel, muss ich hinauf oder hinunter?" "Hinunter, Axel. Hinunter. Wir sind in einen weiten Raum gekommen. Hier münden mehrere Tunnel, die sternförmig von dieser riesigen Höhle abgehen. Deiner ist sicher auch dabei! Los, mein Junge, mach' dich auf den Weg." Ich nahm allen Mut zusammen und verabschiedete mich von meinem Onkel. Das Letzte was ich hörte war ein: "Auf Wiedersehen, Axel. Auf Wiedersehen."
Ich erhob mich und schleppte mich mit letzter Kraft vorwärts. Der Weg fiel steil ab und ich geriet ins Rutschen. Schneller und immer schneller rutschte ich und hatte keine Kraft mehr, mich dagegen zu stemmen. Der Boden schwand unter meinen Füßen und ich fühlte, dass ich in die Tiefe stürzte. Mein Kopf schlug gegen einen Felsen und ich verlor das Bewusstsein.