Eigentlich hätte es dunkel sein müssen, aber in Island geht die Sonne im Juni und im Juli nicht unter. Dafür war es kühl geworden, mich fror und ich war hungrig. Wie froh war ich, als wir das Bauernhaus erreichten, das uns in dieser Nacht Schutz bieten sollte. Wir wurden überaus herzlich empfangen und ins Haus geführt. Es bestand aus Küche, Weberwerkstatt, Schlafzimmer und Gästezimmer. Die Decke war niedrig und mein Onkel stieß sich drei oder viermal schmerzhaft den Kopf an den Deckenbalken.
Unser Zimmer sah aus wie ein Stall. Der Boden war aus gestampftem Lehm, die Fensterscheibe bestand aus Hammelhäuten und ließ nur wenig Licht ein. Zwei rot gestrichene und mit isländischen Sprüchen verzierte Holzrahmen waren unsere Bettstatt. Das Bettzeug war trockenes Stroh. Im ganzen Haus roch es stark nach getrocknetem Fisch, eingelegtem Fleisch und saurer Milch.
Wir legten unsere Ausrüstung ab und gingen in die Küche. Dort begrüßte unser Gastgeber uns erneut, schüttelte herzlich unsere Hände und küsste uns auf die Wangen. Seine Frau tat es ihm nach. Die Küche war der einzige Raum im Haus, der geheizte wurde. Sie diente gleichzeitig als Esszimmer. In der Mitte des Raumes lag ein Stein, der als Feuerstelle diente. Der Rauch entwich durch ein Loch in der Decke. Die Bäuerin war Mutter von neunzehn Kindern, die in der Küche herumwimmelten. Viele kleine blonde Köpfe und melancholische Gesichter sahen uns aus erstaunten Augen an. Wir wurden auch von ihnen freundlichen empfangen und hatten bald jeder drei oder vier Knirpse auf dem Schoß, auf den Schultern oder zwischen den Beinen.
Dann erschien Hans, der die Pferde versorgt hatte. Die armen Tiere hatten nur spärliches Moos und ein wenig Seetang erhalten und würden morgen trotzdem wieder an die Arbeit gehen. Hans sagte: "Saellvertu." Das gleiche hatten die isländischen Bauern zu uns gesagt. Es bedeutet ‚Seid glücklich'. Danach küsste er wie selbstverständlich die Gastgeber und alle neunzehn Kinder.
Nach der Begrüßung setzte man sich zu Tisch. Wir waren vierundzwanzig Personen und saßen im wahrsten Sinne des Wortes übereinander. Jeder hatte mindestens zwei Kinder auf dem Schoß. Die Suppe wurde aufgetragen. Sie bestand aus isländischem Moos und schmeckte recht gut. Danach wurde Fische gereicht, die in Butter schwammen. Leider war diese ranzig und deshalb nach isländischem Geschmack frischer Butter vorzuziehen. Dazu wurde "Skyr" gereicht, hergestellt aus dicker Milch, Zwieback und Wacholdersaft. Das Getränk hieß "Blanda" - Molke, die mit Milch vermischt wurde.
Ich kann nicht beurteilen, ob das Essen gut oder schlecht war. Ich war so hungrig, dass ich auch noch eine dicke Buchweizengrütze zum Nachtisch verschlang. Nach dem Essen verschwanden die Kinder und die Erwachsenen rückten näher an die Feuerstelle heran, in der Torf, Heidekraut und Kuhmist brannten. Als wir uns aufgewärmt hatten, wollten wir schlafen gehen. Die Bäuerin bot an, uns nach alter Sitte die Strümpfe und Hosen auszuziehen, aber wir lehnten dankend ab und gingen in unser Zimmer. Ich war froh, mich in mein Bett legen zu können und schlief traumlos.
Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns um fünf Uhr von unseren Gastgebern. Nur mit Mühe brachte mein Onkel die braven Bauersleute dazu, eine angemessene Bezahlung anzunehmen. Schließlich gab Hans das Zeichen zum Aufbruch und wir wanderten weiter.
Die Landschaft veränderte sich, wurde öder, kahler und sumpfiger. Das Reiten wurde schwerer. Immer wieder mussten wir durch Bäche waten und darauf achten, dass das Gepäck nicht zu nass wurde. Ab und an sahen wir menschliche Gestalten, die aber vor uns zu fliehen schienen. Als wir eine dieser Gestalten trafen, sahen wir einen aufgedunsenen Kopf mit glänzender Haut und scheußliche Wunden am Körper. Die unglückliche Gestalt lief so schnell davon, dass Hans nicht einmal "Saellevertu" rufen konnte. Stattdessen sagte er: "Spetelsk!" Mein Onkel übersetzte für mich: "Ein Aussätziger." Allein dieses Wort klang schon abstoßend. Dieser arme Mensch litt an der Lepra. Eine schreckliche Krankheit, die in Island weit verbreitet ist.
Wir ritten den ganzen Tag, überquerten einige Fjorde oder sogar eine Bucht. Wir durchwateten die Flüsse Alfa und Heta und verbrachten die Nacht in einer verlassenen Hütte, in der wir heftig froren. Der nächste Tag verlief eintönig und am Abend hatten wir die Hälfte des Weges zurückgelegt. Wir übernachteten in der "Annexia" von Krösolbt.
Am 19. Juni kamen wir eine Meile weit über Lavagestein. Man nennt diese Art von Borden dort "Hraun". Ein riesiger Strom Lava war einst von den jetzt erloschenen Vulkanen herabgeflossen und hatte an der Oberfläche die Form von aufgewickelten und zusammengerollten Tauen hinterlassen. Wir hatten nur wenig Zeit zu schauen und zu staunen. Die Zeit drängte und bald hatten unsere Pferde wieder sumpfigen Boden unter den Hufen. Wir ritten jetzt in westlicher Richtung, hatten die große Bucht Faxa tatsächlich umgangen und konnten den doppelten weißen Gipfel des Sneffels nun in weniger als fünf Meilen Entfernung aufragen sehen.
Die Pferde schritten voran und mein Onkel war aufgeregt. Ich für meinen Teil war ziemlich müde und bewunderte Hans, der den ganzen Weg zu Fuß gemacht hatte, während wir auf unseren Pferden gesessen hatten.
Am 20. Juni erreichten wir um sechs Uhr abends Büdir, ein kleines Dorf an der Küste. Hans verlangte seinen vereinbarten Lohn und seine Onkel und Vettern boten uns ihre Gastfreundschaft an. Ich hätte mich gern ein paar Tage ausgeruht, aber mein Onkel drängte zum Aufbruch. So blieben wir nur eine Nacht und brachen am nächsten Morgen wieder auf. Der Professor ließ den riesigen Vulkan nicht mehr aus den Augen. "Diesen Riesen werde ich also bezwingen!", rief er. Vier Stunden später machten die Pferde von selbst vor der Tür des Pfarrhauses Stapi halt.