Mylady war von ihren Begleitern zwar ehrerbietig aber doch wie eine Gefangene von La Rochelle auf ein Schiff gebracht worden. Der Gedanke an Athos und d'Artagnan machte sie derart wütend, dass sie am liebsten ins offene Meer gesprungen wäre. Der Kapitän ließ nicht mit sich reden und das stürmische Wetter tat sein übriges. Erst am neunten Tag legten sie in Portsmouth an, wo Planchet gerade damit beschäftigt war, sich nach Frankreich einzuschiffen.
Buckingham stand in prächtiger Uniform von seinem Gefolge umringt auf der Hafenmole, bereit Richtung La Rochelle auszulaufen.
Mylady wurde von einem jungen Offizier auf ein Beiboot gebracht. Widerwillig folgte sie ihm: "Wer seid Ihr und welchem Umstand habe ich Eure Fürsorge zu verdanken?"
"Ich bin Offizier der englischen Marine, Madame. In Kriegszeiten müssen Fremde in bestimmte Herbergen der Regierung geführt werden."
"Aber ich bin keine Fremde", sagte sie in reinstem Englisch. "Ich bin Lady Winter."
Doch der junge Offizier duldete keinen Widerspruch. Am Kai angelangt, wartete eine Kutsche. Die Fahrt führte aus der Stadt hinaus und es wurde dunkel. Mylady protestierte und begann um Hilfe zu rufen, aber es passierte nichts. Nach etwa einstündiger Fahrt hielt der Wagen vor einem düsteren Schloss.
"Es sieht beinahe so aus, als sei ich Eure Gefangene", sagte Mylady als der Offizier sie in ihr Zimmer brachte, dessen Fenster Gitter hatte und sich mit einem Riegel versperren ließ. Sie verlor die Fassung und sank auf einen Stuhl.
"Was will man von mir?"
Da nahten Schritte. Im Lichtkreis der Lampe erkannte Mylady ihren Schwager Lord Winter. "Ich bin also Eure Gefangene? Das ist üble Gewalt!"
"Keine großen Worte! Setzen wir uns lieber." Dann wandte sich Lord Winter an den jungen Offizier: "Es ist gut Felton, ich danke Euch; lasst uns allein!"
Lord Winter nahm einen Stuhl und begann die Unterhaltung. Er erfuhr, dass Mylady vorhatte ihn zu besuchen. Diese Aussage, deckte sich mit den Warnungen aus dem Brief von d'Artagnan.
"Nun, Ihr seid also gekommen, um mich zu sehen? Schließlich seid Ihr meine einzige Erbin - ein verständlicher Wunsch! So werdet ihr mich ab jetzt jeden Tag sehen."
"Wollt Ihr mich etwas für immer gefangen halten?"
"So würde ich das nicht sagen. Ich werde es Euch so bequem machen, wie möglich. Sagt mir nur, wie Ihr es von Eurem ersten Gatten in Frankreich gewohnt ward."
"Mein erster Mann?", rief Mylady und starrte Lord Winter an.
"Ja, sollte ich ihn vielleicht selbst fragen, schließlich lebt er noch! Obwohl ich weiß, dass Ihr die Angewohnheit habt, Menschen die Euch unbequem sind, aus dem Weg zu schaffen", und mit diesen Worten deutete er unmissverständlich auf ihre linke Schulter.
Myladys Gesicht verzerrte sich in grenzenlosen Hass und ihrer Kehle entrann ein Röcheln. Lord Winter schüttelte sich bei diesem Anblick vor Grauen.
"Ihr bleibt hier, bis ich mit dem Heer nach La Rochelle muss. Dann werdet ihr auf eine unsere Kolonien gebracht. Ich gebe Euch einen Begleiter mit, der Euch beim ersten Fluchtversuch über den Haufen schießt!"
Lord Winter trat zur Tür und rief: "Felton!"
Der junge Leutnant tauchte auf und trat ein.
"Lieber John, seht Euch diese Dame gut an. Sie ist jung und schön und beherrscht alle Verführungskünste. Dennoch ist sie ein Ungeheuer, das bereits die schlimmsten Verbrechen begangen hat. Sie wird versuchen Euch zu verführen und vielleicht auch Euch zu töten. Felton, ich habe Euch aus Not und Elend befreit und sogar Euer Leben gerettet. Diese Frau kam nach England, um mich zu töten. Nun bitte ich Euch mein Freund: beschützt Euch und mich vor dieser Schlange!"
"Mylord", rief der junge Offizier, "ich schwöre Euch, alles zu tun, was Ihr von mir erwartet."
Myldys Mimik war wie umgewandelt. Ihr wunderschönes Gesicht nahm einen demütigen Ausdruck an, sodass selbst Lord Winter kaum die böse Kreatur von eben erkannte.
Erst als die beiden Männer sich entfernten, wurden ihre Züge wieder bösartig und sie ließ sich auf einen Lehnstuhl fallen um nachzudenken.
Die ersten Augenblicke der Gefangenschaft waren schrecklich. Allmählich jedoch überwand sie ihre Wutanfälle. Stunden vergingen, bis sie Schritte hörte. Sie drapierte sich in ihren Lehnstuhl und wollte den Eindruck einer Ohnmächtigen machen. Doch Felton interessierte sich nicht für sie. Er ließ den Lord rufen. Doch der war der Letzte, den sie sehen wollte und sie schlug anmutig ihre Augen auf.
In diesem Moment erschien ihr Schwager mit einem Fläschchen Riechsalz in der Tür. "Felton, soeben sei Ihr Zeuge vom ersten Akt ihrer Komödie geworden. Ihr seid doch nicht auf sie hereingefallen?", lachte Lord Winter.
"Ich ahnte es schon, aber ich wollte es nicht an der Rücksicht gegenüber einer Frau fehlen lassen."
Mylady bebte vor Zorn. Die Männer verließen lachend das Zimmer und Mylady stürzte zum Tisch und griff nach dem Messer auf dem Tablett mit Essen, das nur abgerundet und aus Silber war. Da wurde die Tür abermals geöffnet.
"Oho, sie doch, Felton. Mit diesem Messer hätte sie dich umgebracht. Das ist so ihre Art."
Diese Bemerkung war zu viel, das Messer fiel zu Boden.
"Ihr hattet Recht, Mylord", sagte Felton in einem Ton, der tiefe Abscheu verriet.
"Ich bin verloren", murmelte Mylady, als die Tür ins Schloss gefallen war. Aber die Bemerkung des Offiziers verriet ihr, dass er zuvor zu ihren Gunsten gesprochen hatte. Sie musste nur irgendwie sein Mitleid wecken. Felton ist ein harmloser, tugendhafter Jüngling. Vielleicht konnte sie bei ihm doch etwas erreichen.