Man weiß ja nie, ob es nicht eines Tages für irgendetwas gut ist. Das haben sich die US-Amerikaner gedacht, als sie am 30. März 1867 dem russischen Zaren Alaska abkauften.
1867 war eines jener Jahre, die erst mit historischem Abstand Kontur bekommen sollten - sowohl diesseits wie jenseits des Atlantiks. Kein neuer Krieg, keine Revolution. Auch dass sich etwa der österreichische Kaiser Franz Joseph samt seiner Sisi zu König und Königin von Ungarn krönen ließen, interessierte außerhalb der Donaumonarchie fast so wenig wie die Marginalie, dass zur gleichen Zeit in Hamburg der erste Band des "Kapital" von Karl Marx erschien.
Ärger im Nordwesten Amerikas?
Einzig England witterte Ärger. Im Nordwesten Amerikas schienen sich die geopolitischen Verhältnisse geändert zu haben. Ein Grund zur Sorge im Empire? Und so herrschte an jenem Frühlingsmontag beträchtliche Aufregung im Londoner Unterhaus.
Ob an der Nachricht vom Verkauf "Russisch Amerikas" etwas dran sei, musste sich Premierminister Lord Stanley von einigen Abgeordneten fragen lassen. "Ich habe durchaus noch keine Nachricht", entgegnete der backenbärtige Mittsechziger und verwies darauf, dass er zwar dem Zaren in St. Petersburg telegrafiert, von jenem aber noch keine Antwort erhalten habe.
Dabei rieben sich just zu diesem Zeitpunkt jenseits des Atlantiks zwei weitere Mittsechziger in selbiger Causa zufrieden die Hände. Der eine, William Henry Seward, weil er als US-Außenminister den größten Deal aller Zeiten unter Dach und Fach gebracht hatte. Der andere, Russlands Botschafter Eduard Andrejewitsch Stoeckl, weil er durch besagten Deal 25.000 Rubel Provision und eine satte Jahresrente eingefahren und ganz nebenbei die notorisch marode Staatskasse seines zaristischen Dienstherrn aufgepeppt hatte. Die ganze Nacht lang hatten die beiden grauhaarigen Diplomaten verhandelt, bevor sie im Morgengrauen des 30. März 1867 den Vertrag unterzeichneten.
"Sewards Eisschrank"
Wieviel Whisky oder Wodka dabei im Spiel waren, sickerte nicht durch die Türritzen des Washingtoner Verhandlungszimmers. Wiewohl das Vertragsergebnis eben solches vermuten ließ: 7,2 Millionen Dollar für ein Stück Land von der Größe halb Westeuropas - das waren nicht einmal fünf Dollar pro Quadratkilometer.
Und trotzdem war William Henry Seward zunächst wohl der einzige US-Amerikaner neben Präsident Andrew Johnson, der sich vom Kauf "Russisch Amerikas", jener dünn besiedelten Enklave am Rand des Polarmeers, Vorteile versprach. "Alaska" - "Das Land, zu dem der Ozean strömt" - sollte das Land jetzt heißen. Indes hatte die Presse längst ganz andere Namen kreiert: "Sewards Dummheit" etwa, oder "Sewards Eisschrank". Andere sahen in der Frostwüste allenfalls eine "ausgelutschte Orange".
In der Tat hatten die russischen Pelzhändler und Fallensteller fast alles, weswegen sie rund 100 Jahre zuvor das Land in Besitz genommen hatten, ausgerottet - allen voran die Seeotter. Zwar gab es Fische und Wälder im Überfluss, doch erledigte sich jeglicher Gedanke an eine profitable Nutzung angesichts der endlos erscheinenden Strecke bis Moskau oder St. Petersburg. Daneben häufte sich der Ärger mit den Ureinwohnern.
Konflikte, denen der Zar lieber aus dem Weg ging. Wie hätte er auch ahnen können, dass 30 Jahre nach dem Schnäppchen-Deal der große Goldrausch am Klondike-River anheben würde, dass Alaska im dereinstigen "Kalten Krieg" eine geostrategische Schlüsselrolle spielen sollte, dass unterhalb der Eisdecke Alaskas riesige Erdölvorkommen lagerten und dass ein Klimawandel zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine profitable Schifffahrtsroute durch das Eismeer in Aussicht stellen sollte.
An all das war natürlich auch im Washington des Jahres 1867 nicht zu denken.