Ein Fluss als Hygienefalle und Krankheitsherd - Jahrhunderte lang lebten die Münchner mit ihrer Isar riskant, obwohl es schon früh erste Ansätze zur Abhilfe gab: Am 19. April 1511 wurde das erste Brunnhaus der Stadt errichtet.
"Das ist Selbstmord! Völliger Wahnsinn!“ Den Studenten und Forscherkollegen im Hörsaal der Münchner Universität stockt der Atem: Sie werden gerade Zeuge, wie der Chemiker und Arzt Max von Pettenkofer ein Glas Wasser, versetzt mit Cholera-Erregern, zum Mund führt und in einem Zug leer trinkt. Damit will er beweisen, dass es nicht Bakterien sind, die diese Krankheit beim Menschen auslösen.
Frisches Wasser aus Holzröhren
Ein verrückter Professor? Ein geltungssüchtiger Karrierist? - Eher ein leidenschaftlicher Forscher und Menschenfreund, dessen Lebensziel es ist, seinen Mitmenschen schlimme Krankheiten zu ersparen. Pettenkofer will die Wasserversorgung der Münchner Bevölkerung verbessern. Der Hygiene-Fachmann setzt damit Bemühungen fort, die schon Jahrhunderte andauern: Ein erster großer Schritt dahin wird bereits am 19. April 1511 gemacht: Damals beginnt die Stadtverwaltung mit dem Bau eines Brunnhauses am Rosenheimer Berg, einige Höhen-Meter oberhalb des Stadtzentrums gelegen. Dort, in diesem mehrstöckigen Wasserturm wird zum ersten Mal Grundwasser in größerer Menge gesammelt und durch Holzröhren über das natürliche Gefälle weitergeleitet - die Urform eines öffentlichen Trinkwassernetzes.
Bald werden noch mehr Brunnhäuser gebaut. Denn das Wasser der Isar und der Stadtbäche ist meist verseucht: Metzger und Abdecker kippen ihre Fleischabfälle und Tierkadaver hinein, der Inhalt der Nachttöpfe wird in die Bäche entleert, und als die Stadt von einer Rattenplage heimgesucht wird, entsorgen sogenannte, eigens bezahlte "Ratzenklauber" in einem Jahr über siebentausend tote Tiere in die Isar.
Tote Fische im Frischhaltebrunnen
Aber auch die Brunnhäuser können die Bevölkerung nicht zuverlässig mit sauberem Trinkwasser versorgen. Vor allem bei anhaltender Trockenheit oder großer Kälte droht Wassermangel.
Die Verantwortlichen lassen Wasser aus den schmutzigen Stadtbächen in das hölzerne Rohrnetz pumpen, auch 1841. Als daraufhin auf dem Viktualienmarkt die Fische im Frischhaltebrunnen verenden, verweigern die Fischer wegen des entstandenen Schadens die Zahlung der Marktgebühr. München ist also auch im 19. Jahrhundert noch eine stinkende Kloake, Seuchen können sich leicht ausbreiten.
Zur medizinischen und politischen Katastrophe kommt es im Sommer 1854: die "Erste Allgemeine Deutsche Industrieausstellung" lockt zehntausende Besucher in die Stadt. München will sich als moderne Wirtschaftsmetropole präsentieren und wird zur mittelalterlichen Seuchen-Hölle, als während der Industrie-Schau die Cholera ausbricht. Die Stadtoberen bitten den Mediziner Max von Pettenkofer um Hilfe.
Der vermutet die Ursache der Krankheit fälschlicherweise vor allem im Boden, zieht aber trotz der falschen Überlegung die richtigen Schlüsse: Auf sein Betreiben hin erhält die Stadt Ende des 19. Jahrhunderts ein modernes Abwassersystem und eine zentrale Trinkwasserversorgung über Fernleitungen aus den Alpen, dem Mangfallgebirge. Damit wird München zu einer der saubersten und gesündesten Städte in Europa und Max von Pettenkofer zum gefeierten Wegbereiter der Hygiene-Wissenschaft.