Patty Hearst, entführte Millionärstochter, wird am 18. September 1975 von der Polizei befreit - und verhaftet. Inzwischen hatte sie mit ihren Peinigern gemeinsame Sache gemacht. Der Fall Patty Hearst ist bis heute ein Rätsel.
"Nicht schießen!" schrie sie, als zwei Polizisten durch das Fenster sprangen. Die blasse, schmale Frau ergab sich sofort: "Ich komme mit Ihnen!" Mit ihrer Verhaftung am 18. September 1975 fand Patty Hearst wieder zurück in die Obhut der amerikanischen Gesellschaft; wenn sie auch zunächst im Gefängnis landete. 19 Monate waren seit ihrer Entführung vergangen: 19 Monate, die aus einem naiven, völlig unpolitischen Millionärstöchterchen eine fieberhaft gesuchte Untergrund-Aktivistin gemacht hatten. Ein Stoff, der bis zum heutigen Tag Texter und Songwriter anregt und Patty Hearst zu einer Art Pop-Ikone machte: Aber wie konnte es bloß passieren, dass eine 19-jährige Studentin, die der eigene Vater als bis dato "liebes Kind" bezeichnete, Seite an Seite mit ihren Kidnappern eine Bank überfiel?
Gehirnwäsche unter LSD-Einfluss
Gehirnwäsche unter LSD-Einfluss, so erklärte sie selbst sich und der Welt später ihre überraschende Kehrtwende. Andere nennen das Phänomen Stockholm-Syndrom, nach dem Geiseldrama, das sich 1973 in der schwedischen Hauptstadt abspielte: Da baten die Opfer nach ihrer Befreiung nämlich um Gnade für ihre Peiniger. Psychologen sagen, die Identifikation mit dem Aggressor und seinen Zielen sei eine notwendige Schutzreaktion, um sich nicht vollkommen ohnmächtig ausgeliefert zu fühlen.
Laut ihrer 1982 erschienenen Autobiographie saß Patty Hearst 57 Tage lang in einem zwei Meter langen und 60 Zentimeter breiten Verließ, gefesselt und mit einer Binde über den Augen. Zweimal vergewaltigten sie Mitglieder der revolutionären Organisation, die sich SLA nannte: Symbionese Liberation Army. Dann war sie zu allem bereit. Sie nannte sich "Tania", nach der deutschstämmigen Gefährtin Che Guevaras, und verkündete auf Tonbändern die Forderungen der merkwürdigen, militanten Truppe, in deren überschaubaren Reihen sie jetzt mitmarschierte: Kampf dem Kapitalismus! Geld für die Armen in den Slums der Großstädte! Die Enkelin des Medienmoguls William Randolph Hearst, der das noch heute bestehende, gigantische Imperium der Familie begründet hatte, trat als Rächerin der Enterbten auf: nicht unsympathisch, wie einige linke Sympathisanten damals meinten.
Sieben Jahre Haft
Die Richter allerdings statuierten im Namen des Volkes ein Exempel an der jungen Frau aus der Upper Class: sieben Jahre Haft wegen bewaffneten Überfalls. Aber als sich die Medien, die ja nicht zuletzt Papa Hearst gehörten, tränenreich ihres Schicksals annahmen, schwenkte die öffentliche Meinung um. Und US-Präsident Jimmy Carter erließ dem gefallenen Mädchen nach 22 Monaten den Rest der Haft; ihre vollständige Begnadigung sprach Bill Clinton als letzte Amtshandlung 2001 aus. Nun war sie also wieder völlig frei - die arme, reiche Marionette.
Böse Zungen hatten sogar behauptet, die ganze Entführung sei von ihr selbst inszeniert gewesen, um den Absprung von ihrem schwerreichen Elternhaus zu finden. Doch wenn das so war, warum heiratete sie dann Anfang der 80er-Jahre ihren Bodyguard? Vielleicht eben doch ein Mittel gegen die Angst, die sie noch lange heimgesucht haben muss - wenn sie Opfer war und nicht Täterin.
Der Fall Patty Hearst bleibt ein Rätsel. Eine Zeitlang erfüllte sie sich nachher einen ganz persönlichen Traum und übernahm kleine Rollen in Film- und Fernsehproduktionen. Heute züchtet die Millionärin nicht nur Bulldoggen, sie unterstützt auch soziale Projekte. Bezeichnenderweise Essen auf Rädern für Bedürftige, während ihre Tochter Lydia Hearst Shaw als schmales, bleiches Modell in Dessous und Glitzerkleidern Karriere macht. Eine Ikone wie die Mutter. Aber wesentlich gefälliger.