Kaiser Wilhelm II. kündigte vor Wut seine Loge im Berliner Deutschen Theater, als am 25. September 1894 Gerhart Hauptmanns "Die Weber" uraufgeführt wurde, eine naturalistische Darstellung der Lebensumstände der verelendeten Weber.
Das Schicksal der Weber im 19.Jahrhundert hat außer Heinrich Heine auch andere sozialkritische Dichter beschäftigt. Die zunehmende Mechanisierung der Produktionsweise in der Leinen - und Seidenweberei und die wachsende Habgier der Fabrikanten trieben die ausgebeuteten Handwerker in Verzweiflung, Krankheit und Not.
Halbnackt, in spärliche Lumpen gehüllt
Dass Gerhart Hauptmann besonders berührt vom Schicksal dieser armen Menschen war, hatte vor allem damit zu tun, dass sein Großvater als junger Mann auch ein armer Weber gewesen war. Die Eingebung, sich literarisch mit dem Thema zu befassen kam ihm auf einem Spaziergang, als er das Geräusch eines Webstuhles vernahm und Erinnerungen auftauchten. Das Gebot seiner naturalistisch orientierten Dichtkunst, unbedingte Authentizität walten zu lassen, führte zu intensiven Recherchen und einer Reise zu den Weberdörfern im schlesischen Eulengebirge. Ein junger sachkundiger Journalist begleitete Hauptmann. Er schilderte ihn als scheuen und einfühlsamen Beobachter: Von der Erscheinung her "eher ein Hölderlin als ein Goethe".
Unvorstellbar die Armut, mit der sie in den heruntergekommenen Behausungen der Weber konfrontiert wurden. Es fehlte an den elementarsten Dingen: als Brot, Kartoffeln, Holz, Kohle und sauberem Wasser! Eltern und Kinder waren vom Hunger gezeichnet, halbnackt, in spärliche Lumpen gehüllt. Die Kleinen mit Ausschlag bedeckt. Doch falls sie nicht auf einem schmutzigen Lager dahinvegetierten, mussten sie den geplagten Eltern bei der Arbeit zur Hand gehen.
Mit seinem Stück "Die Weber" kreierte Hauptmann die Idee eines sozialen Dramas, das neue Schwerpunkte setzte. Denn es standen nun nicht mehr Einzelpersonen im Vordergrund, sondern das Kollektiv. Nach Hauptmanns Regieanweisung sollten die Männer einander ähneln, in der Mehrzahl flachbrüstige, hüstelnde Menschen sein mit schmutzig blasser Gesichtsfarbe.
Viel Staub aufgewirbelt
Der Direktor des "Deutschen Theaters" in Berlin wollte "Die Weber" unbedingt auf die Bühne bringen und reichte das Stück bei der preußischen Zensurbehörde ein. Die Aufführung wurde verboten, weil die Obrigkeit befürchtete, dass das Drama ein Anziehungspunkt für den zu Demonstrationen neigenden Teil der Bevölkerung Berlins bieten könnte. Man habe ihn damals, so Gerhart Hauptmann später, wie einen Verbrecher behandelt. Er musste mit dem Stück vor die Gerichte ziehen.
Am 25. September 1894 wurden die Weber dann doch zum ersten Mal öffentlich aufgeführt. Es war eine Premiere, die viel Staub aufwirbelte. Die Aufführung entfesselte einen gewaltigen geradezu rasenden Beifall. Im Publikum saßen Theodor Fontane und führende Sozialdemokraten. Die aufstrebende Linke verspürte im Anschluss des Ereignisses einen fühlbaren Aufschwung.
Wilhelm II. jedenfalls war entsetzt über die Freigabe des Revoluzzer-Dramas. Er kündigte auf der Stelle seine Proszeniumsloge im "Deutschen Theater" und ließ dort umgehend das kaiserliche Wappen entfernen. Wilhelm, der Hauptmann hasste, sorgte auch dafür, dass den begehrten Schillerpreis ein anderer bekam.
Bei der Vergabe des Literaturnobelpreises an den inzwischen zum "Dichterfürsten" avancierten Hauptmann hatten preußische Herrscher allerdings kein Vetorecht.