Heute ist der 11. Februar, herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zur Sendung "Typisch Helene". Heute geht es mal wieder um Beziehungen. Und zwar reden wir über den Ärger mit Handys, über süsse Rache [1] und über den Valentinstag.
Darf ich Ihnen eine Frage stellen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer? Wie viele Handys besitzen Sie? Eins? Zwei? Oder vielleicht sogar drei? Vor kurzem bin ich nämlich mit einem Freund ausgegangen [2], der zwei Handys hat. Und zwar ein kleines, älteres Modell, das er für Freunde und Familie braucht, und einen Blackberry, sein Geschäftstelefon. Bevor ich nun aber weiter erzähle, muss ich Ihnen gestehen [3], dass ich allergisch auf Blackberrys bin. Ja, ich hasse [4] sie sogar. Ich habe ein wahres Blackberry-Trauma! Mein Ex-Freund hatte nämlich auch eines. Und das war für ihn wie ein zusätzliches Organ, oder besser: wie eine Person, mit der er sich fast rund um die Uhr [5] beschäftigte. Das heisst, er konnte während eines schönen Nachtessens eine halbe Stunde lang Emails beantworten oder sogar ganze Artikel schreiben, wenn sein Chef das von ihm verlangte. Das tat er auch während unserer Ferien - egal, wie schön das Café war, in dem wir gerade sassen. Zuerst dachte ich, dass das so sein musste, schliesslich hatte er einen wichtigen Job, eine verantwortungsvolle Position, und dazu gehörte es eben, dass er immer erreichbar war und sofort alle Emails beantwortete. Mit der Zeit wurde mir aber klar, dass der konstante Blackberry-Konsum eine Sucht [6] war, aber auch ein Mittel, um nicht mit anderen Menschen reden zu müssen. Natürlich ist das nicht bei allen Blackberry-Benützern der Fall. Viele wissen wohl einfach nicht, wie sie damit umgehen müssen. Wie auch mein Bekannter, mit dem ich eben im Ausgang war.
Aber kommen wir zu Sache: Was ist passiert? Also, wir waren im Theater und sind danach noch in eine gemütliche [7] Bar gegangen. Wir hatten uns eine Zeitlang nicht mehr gesehen, und ich freute mich darauf, das Neuste aus meinem Leben und von meinen Plänen zu erzählen. Kaum hatten wir aber unsere Drinks bestellt, legte er seine beiden Telefone vor sich auf den Tisch, das kleinere Handy sorgfältig auf das grössere. Und wie das so ist, kam natürlich ein SMS nach dem anderen, und kurz darauf blinkte auch der Blackberry. "Du, du hast eine neue Nachricht", sagte ich grimmig [8]. - "Hmmmm", murmelte er bloss, griff nach dem Telefon und las die Nachricht. "Oh, oh du! Tut mir Leid, die muss ich jetzt schnell beantworten", sagte er. "Eine meiner Mitarbeiterinnen hatte Streit mit ihrem Chef. Ich muss sie unbedingt beruhigen." Er begann ein Mail zu schreiben. Und er schrieb und schrieb. Irgendwann stand ich auf und schaute mir die Bilder an den Wänden der Bar an, redete mit einigen Leuten, flirtete mit dem Barkeeper. Mein Freund schrieb und schrieb. Ich begab mich auf die Toilette, frischte mein Make-up auf und ging langsam wieder zurück. Aber mein Freund war immer noch in sein Mail vertieft [9]. Ich wurde wütend. "Tut mir Leid, aber das ist wirklich wichtig", brummte er und schrieb weiter. Ich wurde immer wütender. "Laut Knigge [10] soll man das Handy beiseite lassen, wenn man mit jemandem im Ausgang ist. Alles andere ist unhöflich und pubertär!", zischte [11] ich. - "Oh, Knigge ist seit Jahrhunderten tot", sagte mein Freund seelenruhig und schrieb weiter. Der Abend war kaputt. Mein Freund und sein Blackberry gaben mir das Gefühl, dass ich langweilig und uninteressant war, dass ich als Gesellschaft nicht genügte. Und das hielt ich nicht aus. Vielleicht finden Sie meine Reaktion kindisch, liebe Zuhörer, aber ich stand auf und holte meine Jacke. Ich konnte nicht anders. "Bin gleich fertig", sagte mein Freund und starrte auf die Tasten seines Telefons. Doch da war ich schon zur Tür hinaus. "Hey, was hast du denn? Wohin gehst du?", hörte ich ihn noch rufen. Zu spät. Ich war weg.
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Aber keine Sorge, liebe Zuhörer, das Blackberry-Trauma ist nicht so dramatisch. Und der Abend hat mir immerhin eine Idee gegeben für eine amüsante, kleine Geschichte, über die ich irgendwann mal schreiben kann. Das ist das Gute am Journalismus: Alles, was passiert, kann eines Tages eine Geschichte sein. Wie auch die folgende: Ich war zwanzig Jahre alt und verliebt in einen Jungen, namens Markus. Ich hatte eben mein Studium an der Universität angefangen, und er ging an eine höhere Berufsschule. Wir sahen einander immer im Bus, und nach unseren gemeinsamen Fahrten war mir immer ganz schwindlig [12] vor Glück. Eines Tages, es war ein Freitag, fragte er mich, ob ich ihm bei einer Aufgabe helfen könnte. Er musste ein Gedicht des deutschen Dichters Eichendorff analysieren. Das war eine schwierige Aufgabe, und ich war natürlich geschmeichelt, dass er gerade mich um Hilfe bat. Galant begleitete er mich nach Hause, und als ich vor meiner Wohnungstür stand, fragte ich ihn, wann wir uns denn an die Arbeit machen wollten. "Ähm", sagte er, "äh, äh, ich brauche den Aufsatz [13] bis Montag." - "Okay, kein Problem", antwortete ich, "dann lass uns morgen zusammensitzen." - "Äh, äh, ich fahre aber heute Abend zu einer Party nach Crans Montana. Ähm, ich habe gedacht, dass du den Aufsatz vielleicht bis Montag schreiben und mir dann schicken könntest." Ehrlich gesagt, liebe Zuhörer, dies war einer der Tiefpunkte meines Lebens. In meinem Inneren brach etwas zusammen. Ich hätte mich sofort wehren sollen, aber damals war ich noch zu schüchtern [14] dafür. Markus klopfte mir auf die Schulter. "Keine Sorge, das machst du sicher super", sagte er - und ging. Und ich? Ich stand vor der Türe und kochte vor Wut [15]. "Wart du nur!", dachte ich. "Das wirst du noch bereuen!" Ich hatte nämlich innert Sekunden einen wunderbaren Plan ausgeheckt [16], meine Rache würde vernichtend [17] sein: Ich setzte mich hin und schrieb einen brillanten Aufsatz. Und zwar so brillant, dass der Lehrer von Markus sofort wissen würde, dass Markus diesen Aufsatz unmöglich geschrieben haben konnte. Markus würde total blamiert sein und die schlechteste Note bekommen. Ich verwendete mein ganzes Wissen als junge Germanistikstudentin und brauchte Wörter, die nur in akademischer Literatur vorkommen. Voller Freude schickte ich den Aufsatz am Montag morgen ab. Und wissen Sie was? Bis heute weiss ich nicht, wie Markus auf mein Werk reagiert, welche Note er bekommen hat oder ob er gar von der Schule geflogen ist. Ich habe seither nie mehr was von ihm gehört. Und das ist nun zwanzig Jahre her. Eigentlich schade, oder?
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Und jetzt zum Schluss noch dies, liebe Zuhörer: Am Montag ist wieder mal Valentinstag. Der Tag, an dem sich Verliebte Blumen und Schokolade schenken oder sich via Facebook Herzchen und nette Grüsse schicken. Ich finde den Valentinstag schrecklich, wie alle Tage, an denen man zum Konsumieren verleitet werden soll. Schon Wochen zuvor machen Blumengeschäfte, Konditoreien, Schokoladenhersteller, ja sogar Reisebüros und Autofirmen Werbung für diesen Tag. Für mich ein Grund, um diesen Tag zu ignorieren. Ich war sehr überrascht, als ich hörte, dass mein guter alter Freund Benedikt auch dieser Meinung war. Ich war überrascht, weil Benedikt und ich sonst nie dieselbe Meinung haben und meistens miteinander streiten, oder sagen wir: intensiv miteinander diskutieren. "Benedikt, das finde ich nun wirklich erstaunlich", sagte ich. "Du findest den Valentinstag tatsächlich auch unmöglich?" - "Und wie!", knurrte er. - "Ja, gell, immer dieser Konsumzwang! Erst Weihnachten, dann der Valentinstag, dann Ostern. Es hört einfach nicht auf." - "Na ja, wenn es nur das wäre", sagte Benedikt. "Ich habe ein ganz anderes Problem." - "Was denn?" - "Ich bin unter Druck." - "Unter Druck?" - "Ja, wegen meiner Verehrerinnen [18]." - "Deine Verehrerinnen?" - "Die erwarten alle, dass ich ihnen zum Valentinstag etwas schenke. Und das sind einfach zu viele. Das wird mich ruinieren!" - "Du Ärmster!" - "Und wenn ich nur einigen etwas schenke, und die erfahren dann, dass sie etwas bekommen haben und die anderen nicht, dann glauben sie, dass ich etwas von ihnen will." - "Welch schrecklicher Gedanke!" - "Mach dich nicht lustig über mich." - "Das würde ich nie wagen. Ich fühle mit dir!" - "Was soll ich bloss tun?" - "Du tust so, als hättest du den Valentinstag vergessen und schenkst niemandem was." - "Aber dann sind alle sauer auf mich. Und das würde mich auch wieder stressen." - "Lass dich doch an diesem Tag entführen [19]. Du liegst gefesselt in einem Keller, bist vollkommen hilflos, und allen ist klar, dass du dann andere Probleme hast, als an den Valentinstag zu denken." - "Das würde mir aber keine glauben. Ich bin nicht der Typ, der entführt wird. Wenn schon, entführe ich." - "Hmm, du könntest Grippe haben." - "Ich bin kein Grippe-Typ." - "Dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als dich zu ruinieren. Aber halt! Halt! Ich habe eine Idee. Das ist die Lösung!" Benedikt blickte mich hoffnungsvoll an. "Ja?" - "Du drehst die Sache um: Du lässt dich beschenken!" - "Bitte?" - "Du sagst den Damen so ganz nebenbei, dass auch du gerne mal zum Valentinstag ein Geschenk bekommen möchtest. Und ich wette mit dir, die Damen werden gleich in die Läden rennen und so mit den Geschenken beschäftigt sein, dass sie vergessen, dass sie etwas von dir wollten!" - "Das ist lieb von dir, aber es geht nicht auf!", sagte Benedikt. "Ich bin so oder so in der Klemme: Wenn ich allen Frauen was schenke, dann glaubt jede einzelne, dass ich was von ihr will. Aber wenn sie miteinander reden und erfahren, dass ich allen was geschenkt habe, sind alle böse auf mich!" - "Benedikt, ich glaube, da musst du nun einfach durch", sagte ich kichernd. "Denn du weisst ja: Das Leben ist einfach kein Ponyhof [20]."
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Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, das wars für heute. Ich hoffe, die Geschichten haben Ihnen genauso Spass gemacht, wie mir. Wir hören uns wieder am 25. Februar auf www.podclub.ch. Dann erzähle ich Ihnen unter anderem, warum ich so Angst vor Französisch habe. Ich freue mich auf Sie. Bis dann! Auf Wiederhören.
[1] die Rache: für eine böse Tat zurückzahlen
[2] ausgehen: am Abend etwas zusammen unternehmen
[3] gestehen: etwas beichten, erklären
[4] hassen: nicht ausstehen können
[5] rund um die Uhr: immer
[6] die Sucht: Abhängigkeit, man kann nicht leben ohne
[7] gemütlich: heimelig, schön
[8] grimmig: böse, mürrisch
[9] vertieft sein: konzentriert sein
[10] der Knigge: Anleitung dafür, wie man sich benehmen soll. Der Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge (1752 - 1796) war ein deutscher Schriftsteller und Aufklärer. Er wurde bekannt durch seine Schrift Über den Umgang mit Menschen. Diese Schrift war aber ein soziologisches Werk. "Der Knigge", wie er heute verwendet wird, hat damit wenig zu tun.
[11] zischen: ein Geräusch machen wie eine Schlange
[12] schwindlig: nicht klar im Kopf
[13] der Aufsatz: der Essay
[14] schüchtern: scheu
[15] vor Wut kochen: sehr wütend sein
[16] aushecken: ausdenken
[17] vernichtend: kaputt machen
[18] die Verehrerin: Frau, die einen Mann bewundert und ein bisschen in ihn verliebt ist
[19] entführen: kidnappen
[20] das Leben ist kein Ponyhof: das Leben ist hart, nicht einfach, nicht unbeschwert