Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zur Sendung "Typisch Helene". Heute ist der 26. Oktober, und ja, ich glaube sogar, es ist das Ende der Herbstferien, nicht wahr? Die Ferienzeit ist ja, wie in der Schweiz üblich, von Kanton zu Kanton verschieden. Ich verliere da immer die Übersicht, denn da ich keine Kinder habe, achte ich mich nie auf die offiziellen Ferienzeiten. Aber wie dem auch sei, ich heisse somit alle, die in den Ferien gewesen sind, herzlich willkommen zurück in den Alltag. Und nun springen wir auch gleich in unsere Themen rein: Als erstes berichte ich Ihnen über die Not, in die man geraten kann, wenn man leichtsinnig [1] Geld ausgibt. Danach erzähle ich Ihnen von meinem Kaffeekauf an einem Samstag in Zürich, und zum Schluss habe ich noch etwas ganz Besonderes für Sie: Ich stelle Ihnen mein neues Lieblingstier vor, den Nacktmull. Ich freue mich, sind Sie wieder mit dabei!
Wer leichtsinnig konsumiert und mehr Geld ausgibt, als er hat, der lebt gefährlich. Gefährlich in dem Sinne, als dass er riskiert, plötzlich kein Geld mehr zu haben, dafür aber sehr viele Schulden. Besonders aufpassen muss man bei Konsumkrediten und Leasingverträgen. Konsumkredite sind Kredite, die man aufnimmt, um sich zum Beispiel ein Auto oder eine teure Tasche zu kaufen oder um sich exklusive Ferien zu leisten. Ja, und bei Leasingverträgen geht es um die Finanzierung eines Autos. Anstatt ein Auto zu kaufen, least man es, das heisst, man legt im Vertrag fest, welchen Betrag [2] man monatlich für das Auto bezahlen kann. Dass das aber ziemlich schief gehen [3] kann, zeigt das Beispiel von meiner Bekannten Carola. Carola ist 33 Jahre alt und war noch bis vor ein paar Jahren eine unabhängige [4] junge Frau, die sehr gut verdiente. Heute kämpft sie um ihre Existenz. Sie erzählte mir, dass sie Mitte der 2000er Jahre bei einer Bank in Zürich gearbeitet und über 9000 Franken im Monat verdient hatte. Das ist sehr viel Geld, und so wundert es auch kaum, dass sie sehr sorglos lebte und sich alles kaufte, was sie sich wünschte. Sie liebte Designerkleider, lebte in einer sehr teueren Wohnung, und wenn sie auf Reisen war, und das war sie oft, wohnte sie nur in den edelsten [5] Hotels. Im Jahr 2008 nahm sie einen Kredit von 50'000 Franken auf. Sie leaste mit diesem Geld ein Auto, bezahlte Steuerschulden und grosse Rechnungen. Sie war überzeugt davon, dass sie die monatlichen Raten [6] für die Kredite auch in Zukunft problemlos würde bezahlen können. Aber dann geschah ein Unglück nach dem anderen: 2009 verlor sie den Job bei der Bank. Zudem ist sie mit dem Auto oft zu schnell gefahren. Sie hat unzählige Bussen [7] bekommen, die sie aber nicht bezahlt hat. Zum Schluss schuldete sie der Polizei Tausende von Franken. Ein Jahr später fand sie in Basel wieder eine Stelle. Sie verdiente jedoch nur noch 4700 Franken im Monat, halb so viel wie vorher. Sie geriet mit den Krankenkassenprämien und der Wohnungsmiete in Rückstand [8]. Drei Leasingraten fürs Auto waren offen, zudem hatte sie noch immer Steuerschulden. Carola versuchte, ihr Auto einem Kollegen zu verkaufen, was aber nicht klappte [9], weil der Wagen rechtlich der Leasingfirma gehörte. Und so musste sie für das Auto immer noch 495 Franken pro Monat bezahlen. Carola war verzweifelt, wusste nicht mehr weiter. Sie hatte Schulden bei der Kantonalen Steuerverwaltung, bei den Bundessteuern, bei der Konsumkredit-Bank, bei der Autogarage und der Leasinggesellschaft. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an eine Finanzberatungsstelle. Und das war ihr Glück. Denn dort bekam sie Hilfe. Zwar musste sie Privatkonkurs [10] anmelden, und es wird nun Jahre dauern, bis sie alle ihre Schulden abbezahlt hat. Sie muss wieder ganz von vorne anfangen und lebt heute von sehr wenig Geld pro Monat. Aber immerhin: Sie hat es geschafft, den Teufelskreis der Schulden zu stoppen. Ich muss sagen, diese Geschichte hat mich sehr beeindruckt. Ich achte nun sehr viel genauer darauf, wie ich mein Geld ausgebe.
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Ja, und nach diesem doch eher schweren Thema, liebe Zuhörer, kommen wir nun zu etwas sehr viel Gewöhnlicherem, das aber trotzdem auch ein Teil der Realität ist: Zum Kaffeekauf an einem Samstag Nachmittag in Zürich. Ich bin am Wochenende meistens in Luzern bei meiner kleinen Nichte Mia-Sophia, aber letzten Samstag bin ich wieder einmal in Zürich geblieben. Ich musste nämlich ganz dringend einige Dinge erledigen [11], für die ich während der Woche kaum Zeit habe. Und ganz oben auf der Liste stand der Besuch im Nespresso-Shop.
Ich hatte nämlich fast keine Kapseln mehr, und wer jeden Morgen gerne eine Tasse Kaffee trinkt, weiss, dass das eine sehr ernste Situation ist. Ich begab mich [12] also gegen 15 Uhr in den Nespresso-Laden am Paradeplatz. Ich habe mich vor Jahren dafür entschieden, von Filterkaffe auf Kapselkaffe umzustellen und habe es nie bereut. Zwar kann man zu Recht sagen, dass es ökologisch bedenklich [13] ist, Kaffee in Aluminiumkapseln zu verkaufen. Denn die meisten Leute werfen die Kapseln in den Abfall, weil es ihnen zu anstrengend ist, sie zur Wiederverwertung [14] ins Geschäft zu bringen. Aber ich bringe die leeren Kapseln immer ins Geschäft zurück und habe deshalb ein gutes Gewissen.
Als ich an jenem Samstag also wieder in den Nespresso-Laden ging, gab es so viele Leute, dass die Warteschlange fast bis auf die Strasse hinausreichte. Uff! Ich glaubte meinen Augen nicht! Also, so grandios ist der Kapselkaffee nun auch wieder nicht, dass man dafür gleich in einer Schlange stehen muss. Aber, ich stellte mich trotzdem brav hinten an, schliesslich war ich ja jetzt schon hier. Zudem hatte ich zuhause wirklich keinen Kaffee mehr. Und eigentlich finde ich es in diesen Läden immer ganz amüsant. Denn die Shops sehen weniger aus wie Kaffeegeschäfte, sondern eher wie Schmuckläden. Was noch dadurch unterstrichen wird, dass zwischen der Ladentheke und den wartenden Kunden eine Sicherheitsdistanz besteht, die mich an jene vor Bankschaltern erinnert. Sie suggeriert [15]: Hier wird etwas Wertvolles verkauft, und das verlangt Diskretion. Dementsprechend verhalten sich auch die Angestellten: Sie tun so, als würden sie nicht mit Kaffee handeln, sondern mit Juwelen. Diese Haltung wird natürlich auch durch die Uniformen unterstützt: die Damen tragen ein kaffeebraunes Kostüm, also Rock und Jackett, die Herren einen kaffeebraunen Anzug. Ja, und weil die Läden so wirken und die Angestellten so tun, tun auch die Kunden so, als würden sie nicht einfach Kaffee kaufen, sondern exklusive Lifestyleobjekte. Da sind sich Kunden und Verkäufer einig. Dies zeigt sich dann auch in der Show, die sich abspielt, wenn man endlich an der Reihe ist. Und die geht so:
"Guten Tag, meine Dame", sagt die Verkäuferin, "wie kann ich Ihnen helfen?" - "Hmmm, ich nehme wie immer erst mal drei von den blauen Stangen [16], drei von den goldenen und drei von den smaragdgrünen", sage ich jeweils lustvoll. "Und, hmmm, haben Sie vielleicht noch eine neue Special Edition [17]? Ja? Ach, dann geben Sie mir doch bitte noch vier Stangen von der, ok?" - "Sehr gerne, meine Dame! Kann ich Ihnen sonst noch etwas zeigen?" – "Nein, danke, das ist gut so." - "Möchten Sie vielleicht gerne noch einen Kaffee degustieren?" - "Das ist sehr lieb von Ihnen, aber heute nicht, vielen Dank." - "Sie wissen doch sicher, dass wir hier zu jeder Kaffeesorte noch die passende Schokolade haben, nicht wahr? Würde Sie das interessieren?" - "Ehrlich gesagt, das ist mir nun doch ein bisschen zu viel. Ich will bei der Schokolade gerne unabhängig bleiben." - "Ach so, ja. Äh, haben Sie sonst noch einen Wunsch?" - Und diesmal konnte ich nicht anders. Ich musste es tun. Ich nickte: "Ja, ich bräuchte eine neue Uhr. Könnten Sie mir bitte Ihre Kollektion präsentieren?" - Die Verkäuferin war verwirrt. "Äh, nein, meine Dame, tut mir Leid, ich fürchte, für Uhren sind wir hier nicht das Richtige. Dafür müssen Sie in ein anderes Geschäft gehen." Ich dankte ihr und verabschiedete mich. Und als ich mich umdrehte, nahm mich die elegant gekleidete Dame, die hinter mir gestanden ist, zur Seite: "Verzeihen Sie mir, äh, sagen Sie mir doch bitte, habe ich richtig verstanden?", flüsterte sie mir aufgeregt zu. "Verkaufen die hier nun tatsächlich auch Uhren?"
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Und nun zum Schluss noch dies, liebe Zuhörer. Sie haben sicher die Aufregung um die Nacktbilder von Herzogin Kate mitbekommen. Kate ist von Paparazzi beim Sonnenbaden fotografiert worden, und die Bilder gingen selbstverständlich um die Welt. Aber, keine Angst, ich will Sie nicht damit belästigen. Weil Nacktheit die Menschen so fasziniert, haben wir recherchiert, was es zum Thema "Nacktheit" sonst noch gibt und sind dabei auf ein ziemlich spektakuläres Tier gestossen, den Nacktmull. Von dem will ich Ihnen hier kurz erzählen. Der Nacktmull sieht auf den ersten Blick eher widerlich [18] aus, ist aber eines der ungewöhnlichsten Tiere der Welt. Er lebt in den Halbwüsten Ostafrikas und hat einen fünfzehn Zentimeter langen Körper, der bis auf ein paar Haare komplett nackt ist. Er hat riesige Nagezähne und seine Haut ist schrumpelig [19]. Er frisst nur Knollen [20] - und, das ist das Besondere, er spürt keinen Schmerz. Diese Tatsache beschäftigt natürlich auch Forscher, und die erklären sich das so: Der Nacktmull lebt dicht gedrängt in unterirdischen Kolonien von bis zu 300 Tieren. Dadurch ist der Sauerstoffgehalt sehr gering, der Kohlendioxidgehalt hingegen extrem hoch. Das verursacht bei Säugetieren normalerweise schmerzhafte Entzündungen - ausser eben beim Nacktmull. Er hat wahrscheinlich einen Mechanismus entwickelt, um weder Entzündungen noch Schmerzen zu bekommen, sonst könnte er unter diesen Umständen nicht überleben. Und dies hilft nun vielleicht auch den Menschen. Forscher hoffen nämlich, dass sie dank dem Nacktmull lernen, chronische Schmerzen beim Menschen besser zu verstehen. So wird also ein auf den ersten Blick abstossendes [21] Tier zu einem höchst faszinierenden Wesen. Es lohnt sich also immer, genau hinzusehen, auch wenn etwas noch so ungewöhnlich erscheint.
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1 leichtsinnig: ohne zu denken
2 der Betrag: die Summe
3 schief gehen: nicht funktionieren
4 unabhängig: frei
5 edel: sehr schön und teuer
6 die Rate: Teilzahlung
7 die Busse: Strafe, wenn man zu schnell fährt
8 in Rückstand geraten: zu spät sein
9 klappen: funktionieren
10 der Privatkonkurs: bankrott werden, nicht mehr bezahlen können
11 erledigen: machen
12 sich begeben: gehen
13 bedenklich: kritisch, schlecht
14 die Wiederverwertung: Recycling
15 suggerieren: deuten auf
16 die Stange: hier: ein Paket von 15 Kapseln
17 die Special Edition: eine spezielles Ausgabe
18 widerlich: ekelhaft, schrecklich
19 schrumpelig: nicht glatt
20 Knollen: Gemüse, wie etwa Kartoffeln
21 abstossend: hässlich, ekelhaft, widerlich