Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zur 62. Sendung von "Typisch Helene". Heute ist der 9. November, und ich bin eben gerade von einer Reise in den Oman zurückgekehrt. Ich war zwei Wochen lang dort. Eine Woche habe ich Ferien gemacht, in der zweiten war ich mit einer Fotografin unterwegs. Wir haben eine grosse Reisereportage gemacht, die ich nun natürlich schreiben muss. Ich werde Ihnen in der nächsten Sendung vom Sultanat Oman erzählen. Bis dann werde ich hoffentlich alle meine Eindrücke sortiert haben. Heute aber bleiben wir erst mal in der Schweiz. Und zwar berichte ich Ihnen als erstes von meinem Besuch im Medizinhistorischen Museum der Universität Zürich. Danach geht es um Wölfe in der Schweiz. Und zum Schluss erzähle ich Ihnen noch von meiner neuen Brille. Die ist nämlich ein ziemlich kompliziertes Ding. So kompliziert, dass ich noch immer daran bin, mich an die Brille zu gewöhnen.
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sagt Ihnen der Name Christoph Mörgeli etwas? Christoph Mörgeli ist SVP [1]-Nationalrat und im ganzen Land bekannt für seine spitzen Kommentare und Analysen zur Schweiz und ihrer Politik. Mörgeli ist aber nicht nur Politiker, sondern auch Historiker, Medizinhistoriker, um genau zu sein, und er war jahrelang Konservator [2] am Medizinhistorischen Museum der Universität Zürich. Die meiste Zeit hat sich niemand besonders für Christoph Mörgelis Arbeit am Museum interessiert - bis vor wenigen Monaten herauskam, dass der Direktor des Museums ganz und gar nicht zufrieden mit ihm war. Er warf ihm vor, dass er das Museum verstauben lasse, es nie modernisiert habe, dass er viele wertvolle Ausstellungsstücke einfach im Keller vergammeln [3] lasse. Er hätte sich nur auf die Politik konzentriert, seine Arbeit als Konservator aber sträflich vernachlässigt.Natürlich wehrte sich Christoph Mörgeli heftig gegen diese Kritik, aber das half ihm nicht mehr: Er verlor seinen Job, ja, er wurde sogar fristlos entlassen [4]. Natürlich, wie hätte es auch anders sein können, war der Medienrummel [5] um Mörgeli und sein Museum die beste Werbung für das Museum. Kamen früher vielleicht zehn oder fünfzehn Besucher pro Tag, waren es nun auf einmal doppelt so viele, an den Wochenenden gar über hundert. Und auch ich konnte nicht widerstehen. Ich bin zwar vor vielen Jahren einmal im Museum gewesen, aber das ist so lange her, dass ich mich an nichts erinnern konnte. Es wurde also Zeit, für einen neuen Besuch.
Und, ich muss sagen, liebe Zuhörer, dieses Museum sollten Sie sich auch einmal ansehen. Es ist zwar klein, es gibt Ihnen aber hochinteressante Einsichten in die Medizin längst vergangener Zeiten. Mich haben besonders die alten chirurgischen Instrumente fasziniert: Die Bohrer, mit denen die Chirurgen in den 50er Jahren die Schädeldecke [6] geöffnet haben, die Zangen, mit denen Babys aus der Gebärmutter [7] herausgezogen wurden, oder die Instrumente, mit denen Zahnärzte Zähne flickten [8]. Unglaublich faszinierend war es auch, eine eiserne Lunge zu sehen, eine Art Röhre, in der Patienten liegen mussten, die an Tuberkulose erkrankt waren. Oder eine Dokumentation über Pocken zu studieren, eine Krankheit, gegen die auch ich noch geimpft worden bin. Uhh, aber extrem gruselig [9] war es dann, das Modell eines Pest [10]-Arztes zu sehen. Die Pest-Ärzte waren ganz in Schwarz gekleidet und hatten einen Mundschutz, der aussah wie der Schnabel eines grossen Vogels. Schrecklich. Aber dann, dann realisierte ich, dass die Ausstellung mit Dokumenten aus den 90er Jahren aufhörte. Es gab noch einige Informationen zu AIDS und HIV, aber das wars dann auch. Das war unglaublich, fand ich, denn gerade in den letzten 20 Jahren ist in der Medizin so viel passiert. Mörgelis Kritiker haben also Recht gehabt.
"Hey, Christoph Mörgeli!", hätte ich am liebsten geschrien. "Haben Sie geschlafen? Haben Sie vergessen, was seit den 90er Jahren in der Medizin alles geschehen ist!" Und ich begann einige der medizinischen Fortschritte in meinem Kopf Revue passieren zu lassen [11]: Da sind zum Beispiel alle Implantate, die es heute gibt. Es gibt einen künstlichen Ersatz für Hüftgelenke, Schultergelenke, Fussgelenke und Kniegelenke. Es gibt sogar spezielle Kniegelenke für Frauen. Es gibt künstliche Zähne und künstliche Augäpfel. Es gibt künstliche Herzklappen und künstliche Mägen. Und dann die Robotertechnik: Haben Sie zum Beispiel vom Pflegeroboter Hospi gehört? Hospi verteilt im Spital Medikamente. Er wird zurzeit in japanischen Krankenhäusern getestet. Oder wissen Sie, was ein Eyeborg ist? Ein Eyeborg ist ein Gerät, das am Kopf von Patienten angebracht wird, die keine Farben sehen können. Eine Kamera vor dem Auge fängt die Farben ein, die werden dann in Schallwellen [12] umgewandelt und zum Ohr des Trägers geführt. Der Farbenblinde kann dann die Farben zwar nicht sehen, aber hören. Ist das nicht grossartig, liebe Zuhörer? Also ich hätte unendlich viele Ideen für das Medizinhistorische Museum gehabt. Aber, wie gesagt, es lohnt sich trotzdem, das Museum an einem verregneten Sonntag nachmittag mal zu besuchen.
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Und nun kommen wir von dem doch eher etwas gruseligen Museum zu etwas ganz anderem, liebe Zuhörer. Und zwar geht es jetzt um den Wolf in der Schweiz. Wenn Sie aufmerksam Zeitung lesen, werden Sie bemerkt haben, dass Wölfe immer wieder ein Thema sind. Die Tiere fallen über Schafe her und fressen sie, Jäger sichten [13] sie irgendwo in den Wäldern oder man diskutiert grundsätzlich darüber, wie viele Wölfe es in der Schweiz überhaupt gibt. Denn da sie nicht offiziell über die Grenzen gehen, werden sie auch nicht ganz genau registriert. Der Wolf sorgt also eher für Aufregung, und das liegt sicher auch daran, dass der Wolf schon immer ein mystisches Tier gewesen ist, das in Sagen und Märchen vorkommt.
Die Realität sieht dann aber sehr viel weniger spektakulär aus. Eine Kollegin hat nämlich zum Wolf in der Schweiz recherchiert und erfahren, dass es hierzulande zur Zeit mindestens sechs Wölfe gibt: vier Männchen und zwei Weibchen. Im letzten Jahr waren es sogar acht. Das sind nun nicht besonders viele - trotzdem haben wir uns gefragt, was man denn machen muss, wenn man auf einer Wanderung einem Wolf begegnet. Da jetzt Wander-Saison ist, kann man diese Möglichkeit natürlich nicht vollkommen ausschliessen [14].
Also, wenn Sie einen Wolf sehen, gilt folgendes: Haben Sie keine Angst! Die Tiere sind vorsichtig und vermeiden es in der Regel, Menschen direkt zu begegnen. In Europa und Nordamerika kommt es extrem selten vor, dass Wölfe Menschen angreifen. Und wenn es passiert, dann meist unter sehr speziellen Umständen. Dann etwa, wenn Wölfe gefüttert werden und sich an den Menschen als bequeme Futterquelle gewöhnt haben. Oder, wenn Wölfe in die Enge getrieben werden. Oder wenn sie an Tollwut [15] erkrankt sind.
Kommt es wider Erwarten [16] zu einem Zusammentreffen, bleiben Sie einfach stehen und beobachten Sie das Tier. Falls der Wolf Sie noch nicht bemerkt haben sollte, können Sie ihn auf sich aufmerksam machen, indem Sie ihn ansprechen oder in die Hände klatschen. Wenn Ihnen die Situation bedrohlich vorkommt, laufen Sie ja nicht davon. Gehen Sie stattdessen langsam rückwärts und sprechen Sie dabei laut. Falls der Wolf Ihnen dann trotz allem folgt, halten Sie an und schreien Sie ihn an. Machen Sie sich gross und werfen Sie etwas nach ihm.
Aber - das Wichtigste ist: Falls Sie wirklich einem Wolf begegnen sollten, vergessen Sie nicht, mir das unbedingt mitzuteilen. Ich werde dann gleich einen Artikel darüber schreiben!
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Und jetzt zum Schluss noch folgende kleine Geschichte, liebe Zuhörer. Ich habe Ihnen ja in der letzten Sendung erzählt, wie ich an einem Samstag nachmittag in Zürich einkaufen gegangen war. Ich ging damals natürlich nicht nur Kaffee kaufen, sondern brauchte auch eine neue Brille. Ich bin kurzsichtig und trage seit Jahren beim Autofahren, im Kino und auch beim Arbeiten vor dem Bildschirm eine Brille. Nur - ich habe seit etwa zwanzig Jahren keine neue Brille mehr gekauft. Es war also höchste Zeit dafür. Beim Augenarzt habe ich ein neues Rezept bekommen, denn wie das leider so ist, verschlechtert sich das Sehvermögen im Alter.
Ich ging zu einem Optiker, den mir ein Freund empfohlen hat. Und ja, ich hatte natürlich geglaubt, dass das mit der Brille eine schnelle Sache werden würde: Ins Geschäft rein, eine Brille aussuchen, dem Optiker mein Rezept für die Brillengläser in die Hand drücken - und tschüss. Ha! Wie bin ich da naiv gewesen! Ich war doch tatsächlich zwei Stunden lang im Brillengeschäft. Eine Brille auszusuchen, das ist mir bewusst geworden, ist eine Wissenschaft für sich. Denn erstens, muss die Farbe der Brille zur Gesichtshaut passen. Das heisst: Sie darf weder zu hell noch zu dunkel und ja nicht zu farbig sein, also nicht etwa Rot, Blau oder Grün - abgesehen davon, dass ich diese bunten Brillen sowieso schrecklich finde. Dann: Welche Brillenform passt zu meinem Gesicht? Mein Gesicht ist eher breit und ein bisschen eckig, da sehen zu kleine Brillen komisch aus, zu runde wirken verkehrt, zu grosse scheinen mein Gesicht zu erdrücken, zu eckige wären zu wuchtig [17]. Ach, ach, ach! Und als ich dann endlich eine Brille gefunden hatte, die mir gefiel und die mir erst noch gut passte, bemerkte der Optiker, dass die Brille total anders aussah, wenn ich die Haare offen trage. Also, ehrlich, ich bin fast zusammengebrochen! Die ganze Suche begann wieder von vorne. Aber dann, dann habe ich meine Brille gefunden: Sie ist nicht zu gross, nicht zu klein, nicht zu rund und nicht zu eckig, hat einen schönen, neutralen Farbton und sieht gut aus, egal, ob ich die Haare offen oder hochgesteckt trage. Ich habe Ihnen ein Bild hinzugefügt. Urteilen Sie selbst! Ich bin auf jeden Fall sehr zufrieden damit. Jetzt muss ich mich nur noch an die neuen, etwas stärkeren Gläser gewöhnen - was nicht ganz einfach ist. Denn ich sehe plötzlich wahnsinnig gut. Und das ist fast ein bisschen erschreckend.
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1 die SVP: die Schweizerische Volkspartei, eine konservative Partei
2 der Konservator: beaufsichtigt Dokumente in Museen
3 vergammeln lassen: vernachlässigen
4 fristlos entlassen werden: nach der Kündigung sofort gehen müssen
5 der Medienrummel: wenn sich die Medien eine Zeitlang nur auf ein Thema konzentrieren
6 die Schädeldecke: oberer Teil des Kopfes
7 die Gebärmutter: Uterus, Ort, wo das Kind im Mutterleib wächst
8 flicken: reparieren
9 gruselig: unheimlich
10 die Pest: Krankheit, auch der "schwarze Tod" genannt, an der Millionen von Menschen starben
11 Revue passieren lassen: sich überlegen
12 die Schallwelle: Ton
13 sichten: erblicken, sehen
14 ausschliessen: ignorieren
15 die Tollwut: gefährliche Tierkrankheit
16 wider Erwarten: anders, als erwartet
17 wuchtig: schwer