Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zur elften Sendung von "Typisch Helene". Heute ist schon der 2. Juli, die Fussball-WM in Südafrika ist im vollen Gang [1], und die Ferien stehen vor der Türe [2]. Für uns ist es also genau der richtige Zeitpunkt, um noch einmal über Fussball zu reden, und zwar über die Freude und das Chaos nach dem Sieg gegen Spanien. Zur Entspannung erzähle ich Ihnen danach, wohin wir Schweizerinnen und Schweizer am liebsten in die Ferien reisen, und warum auch uns die Hochzeit der schwedischen Prinzessin Viktoria zu Tränen gerührt [3] hat.
Meine Kollegen und ich haben uns den Match der Schweizer Nationalmannschaft gegen Spanien auf der Redaktion angeschaut. Wir haben uns alle vor dem Fernseher versammelt, haben ein Bier in der Hand gehalten und einander zugeprostet [4]. Wir haben Pommes Chips geknabbert und Würste gegessen und waren dabei so aufgeregt, als wenn wir selber aufs Feld gehen und spielen müssten. An die Arbeit wollte niemand mehr denken. Die ganze Schweiz stand still.
Obwohl wir alle sehr gespannt und vielleicht sogar optimistisch waren, rechnete wohl niemand damit [5], dass die Schweizer Nati gegen Spanien eine Chance hat. "Nati" ist übrigens die Abkürzung für "Nationalmannschaft". Ich weiss, dass sich das Wort "Nati" in den Ohren vieler Ausländerinnen und Ausländer komisch und vielleicht sogar unangenehm anhört. Aber "Nati" hat nun wirklich nichts mit "Nazi" zu tun. Man spricht "Nati" auch ganz anders aus: Mit einem kurzen "a" und einem "ts". "Natsi". Und "Nati" ist auch viel einfacher für die Journalisten. Stellen Sie sich vor, Sie müssten immer "Nationalmannschaft" schreiben. Das würde viel zu viel Zeit und Platz benötigen.
Aber zurück zum Spiel: Als die Schweiz in der 52. Minute gegen Spanien ein Goal schoss, trauten wir unseren Augen nicht [6]. Und dann ging es los: Wir haben mitgefiebert [7], gehofft und die Daumen gedrückt [8]. Wir haben gebrüllt aber manchmal auch voller Angst geschwiegen, als es auf dem Spielfeld eng wurde. Und dann, nach 95 Minuten - die 5 Minuten Nachspielzeit sind uns ja unendlich lang vorgekommen - war die Sensation perfekt. Wir haben gewonnen.
Es war, als wäre ein Damm gebrochen: Alt und Jung, Frauen und Männer rannten auf die Strasse und jubelten und riefen "Hopp Schwiiz". Man liess rot-weisse Ballone in die Luft steigen und spielte mit rot-weiss bemalten Fussbällen. Autos rasten [9] hupend durch die Strassen. Das Chaos war so gross, dass der ganze öffentliche Verkehr zusammenbrach. In Zürich fuhren die Trams und die Busse bis neun Uhr abends nicht mehr. Das Ausmass [10] der Begeisterung hat uns doch eher zurückhaltende [11] Schweizer sogar selber überrascht. Nur ganz wenige sind nach der ersten Euphorie cool geblieben und haben gesagt: "Ruhig bleiben! Denn nach dem Spiel ist vor dem Spiel". Eine alte Fussballerweisheit. Und die hat uns bis zum Schluss von einem zweiten Sieg an der Weltmeisterschaft träumen lassen.
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Aber jetzt, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, kommen wir zu einem ganz anderen Thema: Und zwar gehen wir der Frage nach, wohin Schweizerinnen und Schweizer am liebsten in die Ferien fahren. Sie müssen wissen, dass wir Schweizer wahnsinnig gerne reisen und als Touristen selbst in den hintersten Ecken der Welt anzutreffen sind. Dort gibt es dann meistens auch eine Bäckerei mit Schweizer Brot oder Schweizer Patisserie oder mindestens ein Haus mit einer Schweizer Fahne.
Nun gibt es jedes Jahr rechtzeitig zu den Sommerferien eine Hitliste mit den beliebtesten Feriendestinationen. Und die ist immer wieder überraschend. Denn trotz aller Abenteuerlust stehen an den oberen Stellen nicht etwa exotische Reiseziele wie Bali, Nepal oder die Seidenstrasse, sondern unsere Nachbarländer Frankreich, Italien und Spanien. Und an erster Stelle steht - jetzt halten Sie sich fest - die Schweiz. Die Mehrheit [12] der Schweizer machen also am liebsten Ferien in der Schweiz, mit anderen Worten: Sie bleiben am liebsten Zuhause.
Ich habe einen Tourismusexperten gefragt, warum das so ist. "Der Grund dafür ist einfach, er liegt auf der Hand", hat der Tourismusexperte gesagt. "Erstens ist die Schweiz mit ihren Bergen, ihren Tausenden von Kilometern Wanderwegen und ihren vielen Hotels und Campingplätzen ein perfektes Reiseland. Und zweitens weiss man, was einen erwartet, wenn man im Heimatland unterwegs ist [13]. Es gibt keine unangenehmen Überraschungen, man muss kein Geld wechseln, man kennt die Sprache, muss nicht aufpassen beim Essen und kann erst noch das Wasser aus dem Hahnen [14], ja, sogar das Wasser aus den öffentlichen Brunnen trinken. Was will man mehr? Wo sonst ist es so bequem?"
Schweizerinnen und Schweizer machen also Ferien nach folgendem Motto: "Warum denn in die Ferne schweifen [15], wenn das Gute so nahe liegt". Wenn Sie nun in Ihren Ferien in der Schweiz herumreisen, achten Sie auf all die einheimischen [16] Touristen. Und sagen Sie "Grüezi", wenn Sie ihnen auf einem Wanderweg begegnen [17]. Denn dieses kleine Wort hat schon viele Herzen geöffnet.
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Und nun zum Schluss noch dies: Hand aufs Herz: Wie oft kommt es vor, dass Sie vor Rührung [18] weinen? Ich bin da ziemlich cool, ich greife nicht so schnell zum Taschentuch, weder im Kino, noch vor dem Fernseher. Doch als die schwedische Kronprinzessin Viktoria ihren Prinz Daniel, einen ehemaligen Fitnesstrainer, heiratete, war ich zutiefst gerührt und konnte nicht genug bekommen vom Glück und von der Schönheit der beiden. Ehrlich gesagt, ich habe mich dafür sogar ein bisschen geschämt, es war mir peinlich. Bin ich nun auch so eine sentimentale Tante, die ständig losheult [19]? Ich war sehr froh, als ich in allen Zeitungen las, dass es vielen anderen aus so ging, ja, sogar Männer waren bewegt. Wie war das bloss möglich? "Ach, das ist doch ganz einfach", sagte mein kluger Kollege Stefan. "Wir Schweizer weinen bei einer Prinzessinnen-Hochzeit, weil wir selber kein Königshaus haben. Ich glaube, wir finden das insgeheim [20] sehr schade. Wir hätten auch gerne so viel Pracht und Glamour. Und dann weinen wir, weil wir im Glück der Prinzessin auch unser eigenes Glück sehen. Oder wir weinen, weil wir auch gerne so glücklich wären. Und wir weinen, weil Prinzen und Prinzessinnen unsere Träume wahr machen." Zugegeben, das stimmt. Aber auf der anderen Seite wissen wir auch, dass Prinzessinnen keine Märchenfiguren, sondern einfach nur Menschen sind. Der deutsche Kommentator brachte dies auf den Punkt: "Alle Zuschauer, die nicht verheiratet sind, freuen sich für Viktoria und Daniel. Die, die verheiratet sind, wissen, was jetzt kommt."
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Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, mit diesen Worten sind wir schon wieder am Ende unserer Sendung "Typisch Helene". Ich hoffe, sie hat Ihnen Spass gemacht und zu Einsichten in die Schweizer Seele verholfen. Wir hören uns wieder auf www.podclub.ch am 16. Juli, das wird dann die letzte Sendung vor den Sommerferien sein. Dann geht es unter anderem um das Wasser in der Schweiz. Bis dann. Ich freu mich auf Sie. Auf Wiederhören!
[1] im vollen Gang sein: aktuell sein
[2] vor der Türe stehen: kurz davor sein
[3] rühren: bewegen
[4] zuprosten: anstossen
[5] damit rechnen: erwarten
[6] seinen Augen nicht trauen: nicht glauben, dass etwas wahr ist
[7] mitfiebern: voller Aufregung dabei sein
[8] die Daumen drücken: Glück wünschen
[9] rasen: sehr schnell fahren
[10] das Ausmass: die Quantität
[11] zurückhaltend: reserviert
[12] die Mehrheit: die meisten
[13] unterwegs sein: reisen
[14] der Wasserhahn: Leitung, aus der das Wasser fliesst
[15] schweifen: poetischer Ausdruck für reisen
[16] einheimisch: lokal
[17] einem begegnen: treffen
[18] die Rührung: Substantiv von rühren, bewegt sein
[19] losheulen: weinen
[20] insgeheim: im Geheimen