Zum Glück hatten wir uns an die Überreste des Gangspills angebunden, so lagen wir ziemlich flach auf dem Verdeck. Allein diese Maßnahme rettete uns das Leben. Sobald ich wieder Atem holen konnte, nachdem die ungeheure Wasserlast über uns hergewälzt war, rief ich meine Gefährten. Nur Augustus gab Antwort: "Es ist zu Ende mit uns. Möge Gott sich unserer armen Seelen erbarmen!"
Mit der Zeit fanden auch die anderen zu ihrer Sprache zurück. Wir versuchten, uns gegenseitig Mut zuzusprechen in der Hoffnung, dass der Sturm an nächsten Morgen abflauen würde. Sonderbar, dass ich erst jetzt bemerkte, dass die mit Tran gefüllten Fässer ja gar nicht untergehen konnten. Dies erfüllte mich mit neuer Hoffnung und gab uns allen neue Kraft.
Die Nacht war unvorstellbar finster. Um uns herrschte tosende Verwirrung und entsetzliches Kreischen. Wir befanden uns auf Meereshöhe und unsere Köpfe waren nie mehr als wenige Sekunden richtig außer Wasser. Wir konnten uns nicht sehen, obwohl wir dicht beieinanderlagen. So riefen wir uns von Zeit zu Zeit zu, um unsere vage Hoffnung aufrecht zu erhalten.
Am Schlimmsten stand es um Augustus. Mit seinem zerfleischten Arm war er nur schwer anzuschnallen. Jeden Moment mussten wir bangen, dass sein Leib über Bord geschleudert wurde. Wenigstens konnten wir seinen Oberkörper so schützen, dass die Heftigkeit der See, die sich über ihn ergoss, einigermaßen abgeschwächt wurde.
Unsere schaurige Lage hielt an bis zum Tagesanbruch, der uns die Schrecken, die uns umgaben, deutlich machte. Die Brigg schien nur noch ein Stück Holz, zum Spiel mit den Wellen freigegeben. Der Sturm tobte immer wütender, er war nun fast zum Orkan angeschwollen und es schien keine Rettung mehr für uns zu geben.
Unsere Hoffnungslosigkeit dauerte noch mehrere Stunden, bevor die Gnade Gottes über uns kam. Gegen Mittag drängten die ersten Sonnenstrahlen durch, bis der Sturm dann endlich merklich nachließ. Augustus sprach als Erster; er fragte Peters, ob es wohl noch Rettung für uns gäbe. Lange kam nichts. Wir glaubten schon, Dirk Peters wäre ertrunken, als eine matte Stimme sagte: "Ich habe furchtbare Schmerzen. Die Fessel schneidet mir den Magen ein und wenn ich sie nicht lockern kann, dann sterbe ich gleich."
Diese Aussicht betrübte uns, da wir uns nicht in der Lage sahen, ihm zu helfen. Dazu war die See noch zu heftig. Wir sprachen tröstend zu ihm, beschworen ihn, seine Qual heldenhaft zu ertragen, bevor wir ihm helfen könnten. Er stöhnte noch eine Weile, dann war es still. Wir waren uns nicht sicher, ob er tot war.
Gegen Abend hatte der Sturm zwar merklich nachgelassen, aber er war immer noch heftig genug. Seit mehreren Stunden hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Deshalb rief ich nun nach Augustus. Seine Antwort hörte ich nur schwach. Weder Petersen noch Parker gaben eine Antwort auf meine Frage.
Kurz danach fiel ich in eine Bewusstlosigkeit, während der mir die fantasievollsten, lieblichsten Bilder entstanden. Ich träumte von windbewegten Baumkronen, von wogenden Getreidefeldern und von Aufzügen voller anmutiger Tänzerinnen und anderen Vorstellungen. So träumte ich nie von einem fest verwurzelten Gegenstand sondern immer von schnell fahrenden oder mindestens beweglichen Dingen.
Als ich aus diesem Zustand erwachte, musste die Sonne schon seit einigen Stunden aufgegangen sein. Mit viel Mühe sammelte ich meine Gedanken und erkannte die Lage, in der ich mich befand. Die See war nun viel ruhiger geworden. Mein linker Arm hatte mehrere Verletzungen am Ellbogen erlitten, weil die Fesseln sich geöffnet hatten; mein rechter war eingeschlafen. Die Hand und die Gelenke waren geschwollen, vom Druck des Seiles. Das andere Tau hatte sich so fest um meine Hüften gezogen, dass ich große Schmerzen ertragen musste.
Als ich mich vorsichtig umsah, erkannte ich, dass Peters noch lebte, obwohl die dicke Leine seinen Körper so schlimm einschnitt, als sei er in zwei Hälften zerschnitten. Er konnte nicht sprechen, bewegte sich nur matt. Augustus rührte sich nicht und lag krummgebogen unter den Splittern des Gangspills. Parker war der Einzige, der noch sprechen konnte. Er spornte mich an, ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien, damit wir uns noch retten könnten.
Mit dem Messer, das sich noch in meiner Hosentasche befand, befreite ich mich. Doch versagten meine Füße mir zuerst den Dienst, sodass ich auf Parkers Rat hin, einige Minuten still liegen blieb, damit das Blut wieder kreisen konnte. Dann kroch ich vorsichtig zu Parker und hatte auch ihn bald von seinen Fesseln befreit. Gemeinsam eilten wir zu Peters, um ihn von seiner Leine zu lösen. Sein Gürtel, samt zwei Hemden waren durchgerieben und nach der Entfernung des Strickes begannen die Wunden schrecklich zu bluten. Trotzdem schien er erleichtert und sprach einige Worte. Peters bewegte sich allerdings viel beschwerlicher als wir.
Nun kümmerten wir uns um Augustus, der bislang kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte. Wir erkannten jedoch, dass er lediglich bewusstlos war. Wir lösten die Taue und brachten ihn an eine trockene Stelle, legten ihn so, dass der Kopf etwas tiefer gebettet war, und rieben ihm eifrig die Glieder. Ungefähr nach einer halben Stunde kam er zu sich und am nächsten Morgen konnte er bereits wieder die ersten Worte sprechen.
Als wir alle vier befreit waren, brach bereits die Nacht herein und Wolken zogen am Himmel auf. In tödlicher Angst blickten wir einem neuen Sturm entgegen, vor dem uns keine Macht der Welt mehr hätte retten können, weil wir zu erschöpft waren. Doch zum Glück hielt das Wetter still, sodass wir wieder Hoffnung schöpften.
Als wir unsere Kleidung ausgewrungen hatten, fühlten wir uns wieder wärmer und wohler. Nur Hunger und Durst blieben uns noch und uns sank der Mut, wenn wir darüber nachdachten, wie wir dieses Problem lösen sollten. Einzig die Hoffnung auf Rettung durch ein vorbeifahrendes Schiff ließ uns unser Los mit Fassung tragen.
Am Morgen des vierzehnten Juli blieb das Wetter immer noch klar und die See war spiegelglatt. Unsere Brigg lag nicht mehr so sehr auf der Seite, sodass wir uns unbeschwerter darauf bewegen konnten. Allerdings hatten wir seit mehr als drei Tagen und Nächten weder Essen noch Trinken zu uns genommen. Es war an der Zeit, etwas von unten heraufzuschaffen. Unser Schiff stand voll mit Wasser, deshalb würde es nicht einfach sein, irgendetwas auftreiben zu können.
Zu diesem Zwecke machten wir uns ein Schleppnetz, indem wir einige Nägel in zwei Holzstücke eintrieben, daran hängten wir ein Tauende und schleppten sie hin und her. Leider blieb nichts hängen, als ein paar Bettücher. In der Tat war unser Netz so tölpelhaft, dass der Misserfolg vorprogrammiert war.
Wir waren fast am Verzweifeln, als Peters auf die Idee kam, wir sollen an ihm ein Seil festmachen und ihn damit in die Kajüte tauchen lassen. Voller Hoffnung waren wir mit von der Partie. Er zog sich auf, bis auf die Beinkleider. Vorsichtig banden wir ein Tau um die Mitte seines Körpers und zogen es über seine Schultern, dass es gewiss nicht von ihm abgleiten könne. Wir waren gespannt.
Das Unternehmen war schwierig und gefährlich zugleich. Wenn Peters in der Kajüte nichts Vernünftiges fand, dann musste er weiter tauchen, zehn bis zwölf Fuß weit in den Gang hinein und wieder zurück - ohne Atem zu schöpfen. Das Unterfangen schien schier unmöglich.
So missglückte auch gleich der erste Versuch. Der zweite war noch übler; diesmal blieb er so lange unter Wasser, dass wir fürchteten, wir hätten ihn verloren, da er nicht das verabredete Zeichen zur Rückholung machte. Besorgt stiegen wir ins Wasser, gingen ihm entgegen - zum Glück. Wie sich später herausstellte, war er nah am Ersticken. Das Tau hatte sich am Geländer verfangen, so konnten wir das Zeichen nicht erkennen. Wir beseitigten dann dieses Geländer gewaltsam, befreiten Peters, indem wir mit vereinter Kraft die Balustrade abbrachen.
Auch der dritte Versuch misslang und wir bekamen es nun endgültig mit der Angst zu tun. Es schien unmöglich zum Ziel zu kommen, wenn der Taucher sich nicht am Boden halten konnte und im Wasser schwebte. Erst als wir beim vierten Tauchversuch Peters Füße mit Ketten beschwerten, gelang es ihm, bis zur Türe der Stewardkabine zu kommen. Doch zu unserem Bedauern fand Peters diese Türe verschlossen und es blieb ihm trotz größter Anstrengung nichts übrig, als unverrichteter Dinge wieder an Deck zu kommen.
Unsere Lage war so aussichtslos, dass weder Augustus noch ich mit unseren Tränen zurückhalten konnten. Allerdings blieb diese Schwäche nicht von langer Dauer. Auf Knien flehten wir Gott um Hilfe an; dann erhoben wir uns. Mit gestärkten Herzen überlegten wir, was wir mit unseren sterblichen Kräften noch ausrichten könnten.