Unter einer Breite von mehr als vierundachtzig Grad befanden wir uns auf dem unendlichen Ozean im Besitz eines schwachen Bootes und dreier Schildkröten als Vorrat. Hinzu kam, dass der lange Polarwinter nahte.
Nun galt es, genau zu überlegen, welche Richtung wir einschlugen. Wir sahen sechs oder sieben Inseln, die zu derselben Gruppe gehörten wie die eben verlassenen. Schon deshalb durften wir nicht einmal daran denken, auf einer derselben zu landen. Mit der "Jane Guy" waren wir von Norden hergekommen und hatten die härteste Eisregion hinter uns gelassen.
Diese Tatsache steht im Widerspruch zu der Vorstellung, die man von dem südlichen Polarmeer hat, doch sie ließ sich nicht verleugnen. Wir konnten keinesfalls den Rückweg antreten, dies wäre zu dieser Jahreszeit eine große Dummheit gewesen. Uns blieb nur ein Weg - kühn gen Süden weiterzurudern. Hier bot sich noch immer die Möglichkeit, neues Land zu entdecken und in mildes Klima zu gelangen.
Zum Glück war bis jetzt der Ozean ruhig. Doch unser Kahn war schwach und wir versuchten bald, ihn seetüchtiger zu machen. Der Rumpf des Bootes war aus der Rinde eines mir unbekannten Baumes gemacht. Das Rippenwerk bestand bestimmungsgemäß aus einem starken Geflecht. Im Gesamten war das Boot fünfzig Fuß lang und vier bis sechs Fuß breit, viereinhalb Fuß tief. Es war kein typisches Boot, wie es die Insulaner selbst besaßen. Erst später erfuhren wir, dass es von einer der anderen Inseln stammte.
Die Ritzen in beiden Enden unseres Kahns stopften wir mit Stücken von unseren Wolljacken. Aus den überflüssigen Rudern machten wir eine Holzwand am Vorderteil, um uns besser vor den Wellen zu schützen. Zwei Ruder funktionierten wir als Mastbäume um und befestigten Segel daran, die wir aus unseren Hemden gemacht hatten. Sonderbarerweise weigerte sich unser bislang so williger Gefangener, an diesen Arbeiten mitzuwirken. Als wir ihn zwingen wollten, schrie er hysterisch sein "Tekeli-li!"
Nachdem wir diese Arbeiten beendet hatten, segelten wir Richtung Südsüdosten, umschifften die südlichste der Inseln. Dann richteten wir unseren Lauf nach Süden. In beständigem sanftem Nordwind bewegten wir uns auf glatter See. Eis war schon lange nicht mehr zu sehen. Die Wassertemperatur war hier viel zu warm, als dass sich hätte Eis bilden können.
Wir schlachteten unsere größte Schildkröte und verschafften uns dadurch Nahrungsvorrat und reichlich Wasser. Nach sieben oder acht Tagen mussten wir ein beträchtliches Stück nach Süden gekommen sein, weil der Wind immer günstig war. Außerdem trieb ein starker Strom und ständig vorwärts.
Am ersten März fielen uns unbekannte Erscheinungen auf, die darauf hinwiesen, dass wir uns in unerforschten Regionen bewegten. Nun stand am südlichen Horizont ständig eine hohe Mauer leichten grauen Nebels, die bald von Ost nach West und dann wieder von West nach Ost liefen. Die sonderbaren Veränderungen der Aurora borealis - des Polarlichtes. Die Höhe der Nebelwand mochte von uns aus gesehen etwa fünfundzwanzig Grad betragen. Das Wasser wurde zunehmend wärmer und die Farbe des Wassers veränderte sich deutlich.
Nach mehrmaligem Nachfragen erfuhren wir am zweiten März einige Einzelheiten über seine Heimatinsel. Er erzählte über die Einwohner und deren Sitten. Was jetzt nicht mehr von großem Belang ist.
Am dritten März fiel uns die Wärme des Wassers auf und die immer deutlicher werdende Farbveränderung. Es verlor das Durchsichtige und wurde dichter und milchiger im Aussehen. Das Meer war glatt und gefahrlos. Allerdings registrierten wir manchmal mit großem Erstaunen in verschiedenster Entfernung eine plötzliche und wilde Oberflächenbewegung, der jedes Mal eine Schwankung der Nebelwand vorausging.
Der Nordwind flaute am vierten März merklich ab. Wir vergrößerten unser Segel mit meinem weißen Taschentuch. Als es zufällig um Nu-Nus Gesicht flatterte, verfiel er in schlimme Krämpfe und schlief benommen vor sich hin, während er immer "Tekeli-li! Tekeli-li!" murmelte.
Am fünften März hatte der Wind völlig abgeflaut. Wir trieben mit einem starken Strom nach Süden. Eigentlich hätten wir den kommenden Dingen unruhig entgegensehen müssen. Jedoch empfanden wir nicht die geringste Beunruhigung. Scheinbar nahte sich der Polarwinter uns ohne seine Schrecken. Lediglich einen Hang zur Träumerei entwickelte ich.
Heute kamen heftige Wellen auf. Wir schrieben den sechsten März. Der graue Nebel war heftiger geworden. Das Wasser hatte sich beinahe unangenehm erwärmt, sodass man es nur ungern berührte. Feiner weißer Staub, ähnlich wie Asche, viel auf uns nieder, während das beleuchtende Nebelgeflacker erblasste und das Wasser sich beruhigte. Nu-Nu schmiss sich auf den Bootsboden, das Gesicht nach unten gewandt und war nicht dazu zu bewegen, sich zu erheben.
Am siebten März fragten wir Nu-Nu, weshalb die Angehörigen seines Stammes unsere Kameraden umgebracht hatten. Erst nach mehrmaligem Nachfragen löste sich seine Furcht und er gab uns Antwort in Form einer stumpfsinnigen Bewegung. Mit dem Zeigefinger schob er seine Oberlippe hoch und zum Vorschein kamen die bislang verborgenen Zähne. Sie waren pechschwarz. Nie zuvor hatten wir die Zähne eines Eingeborenen von Tsalal gesehen.
Inzwischen hatte sich die Temperatur des Wassers so gesteigert, dass es unmöglich war, die Hand hineinzuhalten. Am achten März begegnete uns wieder eines der weißen Tiere, deren Anblick bei den Menschen von Tsalal diese unerklärliche Aufregung verursacht hatte. Peters sprach wenig und Nu-Nu atmete nur vor sich hin.
In großen Mengen fiel am neunten März der feine aschenartige Staub auf uns herab. Der Nebel hatte sich zu einem riesigen Vorhang aufgebaut und dehnte sich über den südlichen Horizont hin. Eine lautlose Nacht.
Der einundzwanzigste März bescherte uns Dunkelheit. Jedoch erhob sich aus den Tiefen des Ozeans ein leuchtendes Schimmern. Es glühte am Holzwerk des Kahns empor. Der weiße Aschenregen begrub uns fast - im Wasser zerschmolz er. Die hohe Nebelwand verlor sich in der Ferne. Obwohl wir uns ihr mit ungeheuerlicher Geschwindigkeit näherten. Gelegentlich öffneten sich gähnende Spalten, aus denen unbestimmte Bilder flackerten. Gewaltige Luftströme kamen, doch der glühende Ozean riss sie mit sich fort.
Am zweiundzwanzigsten März verdichtete sich die Dunkelheit und wurde nur durch den Schein der Nebelwand ein wenig behoben. Gewaltige, gespenstisch weiße Vögel schossen aus dem Düster hervor und schrien "Tekeli-li! Tekeli-li!" Einmal zuckte Nu-Nu ein wenig auf dem Boden des Bootes. Als wir ihn berührten, bemerkten wir, dass er tot war.
Und dann schossen wir in einen Wasserfall, hinein in eine Spalte, die sich auftat, uns zu empfangen. In diesem Moment erhob sich auf unserer Bahn eine lakenumhüllte menschliche Gestalt, die weitaus gewaltiger war als die Bewohner der Erde. Ihre makellos weiße Hautfarbe glich der Farbe von leuchtendem, blendendem, ewigen Schnee …