Samstag, 15. August: Das Meer ist ruhig. Mein Onkel hat schlechte Laune, weil wir immer noch kein Land sehen. Er ist ungeduldig. Zweifel plagen ihn, ich weiß es genau. Wir müssten nach seinen Schätzungen das Meer längst überquert haben. Aber sind wir noch auf den Spuren Saknussemms? Ist auch er über dieses Meer gesegelt? Wir wissen es nicht. Der Professor ist einsilbig. Hans verlangt seine drei Reichstaler und sonst geschieht nichts.
Sonntag, 16. August: Es gibt's nichts Neues. Wetter, Wind, Licht, Temperatur, alles ist gleich. Das Meer ist unendlich. Wir versuchen die Tiefe zu loten und lassen eine Hacke an einem Strick zweihundert Klafter tief hinab. Kein Meeresgrund. Aber als wir die hacke wieder hinauf ziehen, entdeckt Hans etwas. Auf der Hacke befinden sich Druckstellen, die deutlich zu sehen sind. Hans sagt nur ein Wort: "Tänder." Bestürzt blicke ich auf die Hacke. Wenn das Zahnspuren sind, dann müssen die Kiefer, die sich um die Hacke geschlossen haben, ungeheuer stark sein. Was für ein Ungeheuer lauert da in der Tiefe auf uns?
Montag, 17. August: Der Gedanke an ein vorsintflutliches Ungeheuer lässt mich kaum zur Ruhe kommen. Ich versuche mich an die Instinkte dieser Tiere zu erinnern. Sie folgten den Weichtieren, den Schalentieren und den Fischen und erschienen vor den Säugetieren auf der Erde. Sie beherrschten die jurassischen Meere und waren mit allem versehen, was sie brauchten. Ihre gigantischen Körper waren mit riesigen Kräften ausgestattet. Die uns bekannten Alligatoren, Saurier oder Krokodile sind gegen sie Zwerge. Ich muss gestehen, dass ich Angst habe. Werden wir ein solches Ungeheuer zu Gesicht bekommen? Die Zahnabdrücke auf der Hacke sind konisch, wie bei einem Krokodil.
Der Professor hat offensichtlich ähnliche Gedanken. Seine Blicke schweifen über das Meer. Ich ärgere mich, dass wir versucht haben, die Tiefe auszuloten. Damit haben wir das Ungeheuer in seinem Schlupfwinkel gestört. Der Professor und ich sehen prüfend unsere Waffen an. Werden sie uns schützen, wenn wir angegriffen werden? Die Oberfläche des Meeres wird unruhig. Ich bin ganz sicher, dass Gefahr im Anzug ist.
Dienstag, 18. August: Es wird Nacht, auch wenn es auf diesem Meer nie dunkel ist. Wir sind erschöpft und unsere Augen fallen uns zu. Der treue Hans steht am Steuer. Ich schlafe ein. Zwei Stunden später weckt mich ein furchtbarer Stoß. Das Floß wird emporgehoben und zwanzig Klafter weit geschleudert. Sind wir auf ein Riff aufgelaufen? Hans deutet mit seinem Finger auf eine schwärzliche Masse, die ungefähr zweihundert Klafter entfernt von uns auf- und untertaucht.
"Ein Riesenwal!", rufe ich entsetzt. Der Professor deutet bleich auf die andere Seite des Floßes. "Dort ist eine riesige Meereidechse. Und schau dorthin! Dort ist ein scheußliches Krokodil. Seht nur seinen Kiefer und die messerscharfen Zähne."
Wir sind wie gelähmt bei dem Anblick der Meeresungeheuer. Was sollen wir nur tun? Sie sind von übernatürlicher Größe. Jedes von ihnen kann unser Floß mit nur einem Biss zertrümmern. Hans versucht das Floß zu wenden, da entdecken wir noch andere Feinde. Eine vierzig Fuß breite Schildkröte und eine dreißig Fuß lange Schlange peitschen durch das Wasser. Jede Flucht ist unmöglich. Ich umklammere meinen Karabiner. Wird er den Schuppenpanzern dieser Tiere überhaupt etwas anhaben können?
Die Ungeheuer nähern sich uns und wir sind stumm vor Entsetzen. Im Moment können wir nur das Krokodil und die Schlange sehen. Beide schwimmen an unserem Floß vorüber, offensichtlich ohne uns zu bemerken. Ungefähr hundert Klafter entfernt beginnt der Kampf. Die beiden Wesen stürzen sich aufeinander. Sie ringen miteinander. Das Wasser schäumt. Die anderen Ungeheuer beteiligen sich jetzt an dem Kampf. Eidechse, Schildkröte, Schlange, Wal. Kaum kann ich den Kampf verfolgen. Hans steht ganz still und beobachtet den Kampf. "Tva!", sagt er. Ungläubig schaue ich ihn an. Nur zwei Tiere sollen hier kämpfen? Der Professor greift nach dem Fernglas. "Hans hat Recht. Es sind nur zwei. Das eine Monstrum hat das Maul des Wals, den Kopf der Eidechse und die Zähne des Krokodils. Es ist ein Ichthyosaurus. Das andere ist ein Plesiosaurus, mit dem Köper einer Schlange unter einem Schildkrötenpanzer."
In den aufgewühlten Fluten kämpfen zwei Reptilien der Urzeit miteinander. Das blutige Auge des Ichthyosaurus ist so groß wie ein Menschenkopf. Sein Körper ist nicht weniger als hundert Fuß lang. Der Plesiosaurus hat Rudertatzen und einen Hals, der mindestens dreißig Fuß aus dem Wasser ragt. Die Wut der beiden Tiere ist unbeschreiblich. Die Stunden vergehen, aber der Kampf dauert an. Mal wogt er nahe an unser Floß heran, mal entfernt sich das Kampfgeschehen. Schließlich ist ein schrilles Pfeifen zu hören. Der Plesiosaurus ist tödlich verwundet und windet sich im Todeskampf. Sein Schwanenhals peitscht das Wasser auf und nimmt uns so die Sicht. Als es vorbei ist, liegt der lange Schlangenleib wie eine leblose masse auf dem Wasser, der gewaltige Panzer ist verschwunden. Hat sich der Ichthyosaurus zurückgezogen oder wird er wiederkehren, um uns zu töten?