Als der Löwe endlich erwachte, war er sehr froh, noch am Leben zu sein. „Ich rannte, so schnell ich konnte“, erklärte er und gähnte herzhaft. „Aber die Blumen waren zu stark für mich. Wie habt ihr mich nur aus dem Feld geholt?“ Und so erzählten sie ihm die Geschichte von der Feldmaus-Königin und von seiner Rettung. Der Löwe lachte beschämt und sagte: „Da sagt man mir nach, dass ich besonders groß und schrecklich bin. Dabei hat mich so ein kleines Ding wie eine Blume fast getötet, und die kleinen Mäuse haben mein Leben gerettet. Wie seltsam das doch alles ist! Und nun, meine Kameraden, was sollen wir nun tun?“
„Wie müssen den gelben Ziegelsteinweg wieder finden und zur Smaragdstadt gehen“, entschied Dorothy. Sie ließen dem Löwen noch ein kleines Weilchen, sich zu erholen, dann aber brachen sie auf, um den gelben Ziegelsteinweg zu suchen. Es dauerte gar nicht lange, und sie hatten den Weg wieder unter den Füßen, der sie zur Smaragdstadt und dem großen Oz bringen sollte.
Der Weg war gut gepflastert und gepflegt, und die Landschaft war lieblich. Die Wanderer waren froh, den dunklen Wald mit all seinen Gefahren hinter sich zu lassen. Hier gab es auch wieder Zäune. Sie waren genau so grün gestrichen wie die Häuser, die nun wieder am Wegesrand standen. Einige Bewohner kamen aus ihren Häusern, als sie die Freunde sahen, aber keiner wagte es, die Wanderer anzusprechen. Sie hatten alle Angst vor dem großen Löwen. Die Menschen hier waren in einem hübschen Smaragdgrün gekleidet, und sie trugen spitze Hüte, die an die Hüte der Käuer erinnerten.
„Das muss das Land Oz sein“, sagte Dorothy. „Glaubt mir, bald sind wir in der Smaragdstadt.“ „Du hast Recht“, antwortete der Scheuch. „Alles ist hier grün. Die Käuer bevorzugten Blau. Aber die Menschen hier scheinen nicht so freundlich zu sein wie die Käuer. Sicherlich werden sie uns keine Unterkunft für die Nacht geben.“ „Oh, sag doch nicht so etwas.“ Dorothy weinte fast. „Ich möchte so gerne einmal etwas anderes essen als Obst. Und mein lieber Toto muss bald verhungern, wenn er nicht etwas Ordentliches zu essen bekommt. Kommt, am nächsten Haus halten wir einfach an und reden mit den Leuten.“
Und so ging Dorothy, als sie am nächsten Haus vorbeikamen, mutig durch den Vorgarten und klopfte dann energisch an die Tür. Die Tür wurde nur einen Spaltbreit geöffnet, und eine Frau sah Dorothy an. „Was willst du, Kind? Warum hast du diesen großen Löwen bei dir?“ „Wir suchen ein Nachtlager“, bat Dorothy. „Der Löwe ist mein Freund. Er tut niemandem etwas zu Leide.“ Neugierig beäugte die Frau den Löwen. „Ist er denn zahm?“ fragte sie und öffnete die Tür ein kleines bisschen mehr. „Ja, er ist völlig zahm und dazu noch ein großer Feigling. Er hat mehr Angst vor dir als du vor ihm.“ „Wenn das so ist“ sagte die Frau und warf noch einmal einen Blick auf den Löwen, „dann könnt ihr meinetwegen hereinkommen. Ich gebe euch etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen.“
Dorothy und ihre Freunde betraten das Haus. Außer der Frau gab es noch zwei Kinder und einen Mann, der auf dem Sofa lag, weil er sich am Bein verletzt hatte. Alle waren sehr überrascht, so außergewöhnlichen Besuch im Haus zu haben. Die Frau deckte den Tisch und der Mann fragte: „Wo wollt ihr denn eigentlich hin?“ Dorothy antwortete: „Wir wollen in die Smaragdstadt zum großen Zauber Oz.“ „Oh!“, rief der Mann überrascht. „Seid ihr sicher, dass der große Oz euch auch empfangen wird?“ „Warum nicht?“ fragte Dorothy beunruhigt. „Nun ja, es heißt, dass er nie irgendwelche Besucher empfängt. Ich selbst war einige Male in der Smaragdstadt. Sie ist wunderhübsch, wirklich ein schönes Fleckchen, aber nie war mir erlaubt, den großen Oz zu sehen. Ich kenne auch niemanden, der ihn je gesehen hat.“
„Verlässt er denn niemals das Haus?“ fragte der Scheuch erstaunt. „Nie. Tagein, tagaus sitzt er in seinem großen Thronsaal in seinem Palast. Und die, die auf ihn warten, sehen ihn auch nie von Angesicht zu Angesicht.“ „Wie ist er denn so?“ fragte Dorothy. „Das ist schwer zu sagen“, erwiderte der Mann. „Weißt du, Oz ist ein großer Zauberer. Er kann jede Gestalt annehmen, die er zu sein wünscht. Einige sagen, er sieht aus wie ein Vogel. Andere wieder sagen, er sieht aus wie ein Elefant. Und es gibt Leute, die behaupten, er sähe aus wie eine Katze. Er erscheint in der Gestalt, die ihm beliebt, und niemand hat je den wahren Oz zu Gesicht bekommen.“
„Das ist fast unheimlich“, stellte Dorothy fest. „Aber wir müssen versuchen, zu Oz zu gelangen. Wenn wir ihn nicht sprechen dürfen, war unsere ganze Reise umsonst.“ „Aber warum wollt ihr denn Oz so unbedingt sehen?“ wunderte sich der Mann nun. „Ich will ihn um einen scharfen Verstand bitten“, erklärte der Scheuch. „Und ich möchte ihn um ein liebendes Herz bitten“, sagte der Holzfäller. „Das mit dem Herzen wird nicht schwer sein für Oz“, bemerkte der Mann. „Ich weiß, dass er eine ganze Sammlung von Herzen in jeder Form und Größe hat.“ „Und mich soll er endlich mutig machen“, fuhr der Löwe fort. Der Mann lächelte. „Oz hat eine große Flasche Mut in seinem Thronsaal. Das wird auch dich mutig machen.“
„Und ich möchte ihn bitten, mich zurück nach Kansas zu bringen“, sagte Dorothy. „Wo liegt Kansas?“ fragte der Mann überrascht. „Ich weiß es nicht“, erwiderte Dorothy traurig. „Aber in Kansas bin ich zu Hause, und ich bin ganz sicher, dass es irgendwo ist.“ „Oz kann alles“, tröstete der Mann Dorothy. „Er wird auch wissen, wo Kansas liegt, und dich dorthin bringen. Aber zuerst müsst ihr Oz überhaupt erst einmal treffen. Das wird sehr schwierig werden, glaubt mir.“
In diesem Moment rief die Frau ihnen zu, das Abendessen sei fertig. Alle setzten sich um den Tisch, und Dorothy aß köstlichen Haferbrei und einen Teller voll mit Rührei. Dazu gab es eine Scheibe Brot, und Dorothy aß mit großem Appetit. Der Löwe bekam auch eine Schüssel mit Haferbrei, aber er schmeckte ihm nicht. Hafer sei etwas für Pferde, aber nichts für Löwen, murmelte er und ließ die Schüssel stehen. Der Scheuch und der Holzfäller aßen wie immer nichts. Toto aber fraß von allem ein bisschen und freute sich über das gute Abendessen.